Meister gegen Junior
27. Januar 2003Er gilt als schlechter Verlierer. Garry Kasparow erbost nichts mehr als ein verlorenes Schachmatch. Besonders sauer war der erfolgsverwöhnte russische Denksportler im Frühjahr 1997. Damals kassierte die Schachlegende gegen die IBM-Maschine "Deep Blue" eine völlig unerwartete Niederlage. In der letzten und entscheidenden Partie des Wettkampfs strich Kasparow nach gerade einmal 19 Zügen die Segel. Kasparow hatte als erster amtierender Weltmeister gegen einen Schachcomputer unter Turnierbedingungen den Kürzeren gezogen.
Eine Frage der Ehre
Kasparow ist also gewarnt. Für den Weltranglistenersten und langjährigen Schach-Weltmeister geht es jetzt noch einmal ums Ganze: Er will nach eigenen Worten beweisen, dass der Mensch gegen digitale "Intelligenz" doch (noch) nicht chancenlos ist. "Ich glaube, das Duell ist nicht nur für das Schachspiel sehr wichtig, sondern auch für den Menschen als Gattung", sagte der 39-jährige Kasparow vor dem Auftakt des neuerlichen Kampfes Mensch gegen Maschine in New York.
In den nächsten zwei Wochen wird Kasparow sechs Mal gegen "Deep Junior" antreten, den amtierenden Weltmeister bei den Schachprogrammen. Das Match ist mit einer Million Dollar dotiert. Allein für seine Teilnahme kassiert Kasparow 500.000 Dollar und im Falle eines Sieges noch einmal 300.000 Dollar.
Pfiffige Angriffslust
Kasparows Gegner "Deep Junior" ist die aufgerüstete Version eines normalen PC-Programms, das in Israel entwickelt und von dem Hamburger Unternehmen "Chessbase" vertrieben wird. Rund drei Millionen Schachzüge pro Sekunde untersucht "Deep Junior". Das wirkt zwar geradezu schwachbrüstig im Vergleich mit dem IBM-Rechenmonster "Deep Blue", das 1997 zwischen 200 und 300 Millionen Züge pro Sekunde aufbieten konnte. Doch das IBM-Programm galt eher als Schnellrechner denn als Intelligenzbolzen.
"Deep Junior" eilt dagegen der Ruf voraus, ein pfiffiges Programm mit geradezu menschlichen Fähigkeiten zu sein. Besonders gefürchtet ist die Software wegen ihrer Angriffslust. Für Experten wie den indischen Supergroßmeister Vishy Anand geht Kasparow dennoch als Favorit in das Match Mensch gegen Maschine: "Natürlich sind all diese Programme ziemlich gefährlich, aber ich denke, Junior hat überhaupt keine positionellen Grundlagen, auf die es zurückgreifen kann", sagte Anand.
Rechner werden nicht müde
Doch trotz des fehlenden menschlichen Positionsgefühls können selbst handelsübliche PC-Programme wie "Fritz" und "Junior" inzwischen nur noch von absoluten Topspielern geschlagen werden. Und auch die haben immer mehr Mühe: So schaffte im Oktober 2002 Weltmeister Wladimir Kramnik bei einem Duell gegen den in Deutschland entwickelten Schachcomputer "Deep Fritz" nur ein hart umkämpftes Unentschieden.
Auch wenn die Auftakt-Partie am Sonntag (26.1.2003) mit einem klaren Sieg für ihn endete, ist der sonst stets selbstbewusste Kasparow sich seiner Sache keineswegs sicher. Bei der Auftaktpressekonferenz in New York stellte er fest, dass Computer große Vorteile gegenüber Menschen hätten. Rechner machten keine Fehler, ermüdeten nicht und fielen nie in ein Stimmungstief. Eine einzige Schwäche hat Kasparow immerhin ausgemacht: "Computer tun sich schwer, wenn der Strom ausfällt!"