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Politik

Memorial-Aus ist ein Vorbote dunkler Zeiten

Roman Goncharenko (DW)
Roman Goncharenko
28. Dezember 2021

Die Auflösung der renommiertesten russischen Menschenrechtsorganisation Memorial International ist eine Zäsur. Präsident Wladimir Putin führt sein Land in noch dunklere Zeiten, meint Roman Goncharenko.

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Die Masken sind gefallen. Der Satz ist genauso banal und wie leider wieder einmal richtig. Wer gehofft hat, dass in Wladimir Putins Russland doch noch Platz für Memorial ist, die renommierteste Menschenrechtsorganisation im Land, wurde an diesem Dienstag enttäuscht. Memorial International wird auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und mit dem Segen des Obersten Gerichtshofs aufgelöst. Beide handeln zumindest im Interesse des Präsidenten. Eine Entscheidung zum Menschenrechtszentrum Memorial dürfte folgen.

Es ist mehr als nur eine weitere Schließung einer für den Kreml unbequemen Nichtregierungsorganisation (NGO). Es ist Wendepunkt, eine Zäsur. Russland wird danach anders sein.

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DW-Redakteur Roman Goncharenko

Memorial war Putin schon lange ein Dorn im Auge. Eine Organisation, die an Verbrechen des berüchtigten sowjetischen Geheimdienstes KGB erinnert und ein ehemaliger Offizier des KGB als Präsident - das passt nicht zusammen. Memorial hält Erinnerungen an Stalins Terror wach, an die Verbrechen gegen das eigene Volk. Putin und sein Machtkreis, meistens ehemalige Offiziere des KGB, wollen, dass Russen diese dunklen Seiten der sowjetischen und russischen Geschichte vergessen. Das ist ihnen mit massiver Propaganda fast gelungen.

Freie Hand für neue Repressionen

Die Anklage entlarvte Putins Absicht selbst, als sie Memorial das "falsche Image der UdSSR als eines Terror-Staates" vorwarf. Der Vorwurf, die NGO habe gegen das "ausländische Agenten-Gesetz" verstoßen, ist nur ein Vorwand.

Ein Zyniker könnte sagen, Putin brauchte Memorial gar nicht schließen zu lassen, es sei ohnehin ein Auslaufmodel. Die einst vom Nobelpreisträger Andrej Sacharow mitgegründete Organisation erlebte ihre Sternstunde Ende der 1980er Jahre. Ihre Aktivisten ließen damals auf dem Lubjanka-Platz vor der KGB-Zentrale in Moskau den Solowezkij-Gedenkstein errichten, um an die Opfer des GULAG zu erinnern. Es war ein Symbol der Wende, welche Putin seit Jahren versucht rückgängig zu machen. Offenbar möchte der Präsident diesen Prozess bald abschließen. Zuletzt war die Bedeutung von Memorial für die russische Gesellschaft immer kleiner, im Vorstand sitzen viele ältere Menschenrechtler. Warum also jetzt die Auflösung?

Russland Proteste vor Gebäude des Obersten Gerichtshofs in Moskau
Memorial International und seine Unterstützer im Konflikt mit dem StaatBild: Gavriil Grigorov/TASS/dpa/picture alliance

Die Stimme von Memorial war wohl doch nicht so schwach wie es der Kreml gerne hätte. Neue Projekte irritierten den Kreml. Zum Beispiel OWD-Info, ein Infoportal über festgenommene Aktivisten, das nun auch gesperrt wurde.

Die jetzige beschämende Entscheidung russischer Justiz ist aber vor allem ein Vorbote noch dunklerer Zeiten. Ja: Es kann noch dunkler als bisher werden. Putins Russland steuert auf eine heiße Phase im neuen Kalten Krieg mit dem Westen zu. Eine im Westen hoch geschätzte Menschenrechtsorganisation könnte unter solchen Umständen nur stören. Es ist zu befürchten, dass mehr Repressionen, gar Terror gegen Opposition und alle Andersdenkende kommen. Auch da möchte der Kremlchef offenbar freie Hand haben und nicht ständig von Memorial an immer neue politische Häftlinge erinnert zu werden.

Memorial wird zurückkehren 

Hat Putin also gewonnen? Natürlich nicht.

Ob historische Aufarbeitung von Stalins Terror oder Chronik von Menschenrechtsverletzungen in Putins Russland - Memorial wird im Untergrund und aus dem Exil im Ausland seine Arbeit fortsetzen. Irgendwann wird es nach Russland zurückkehren. Wie schnell hängt nur von Russlands Bürgern ab. Memorial wird Putins Herrschaft überdauern und irgendwann auch sie aufarbeiten.