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Gerechtigkeit für die Jesiden

25. Oktober 2021

Beim Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Jennifer W. ging es nicht nur um den Tod einer fünfjährigen Kindersklavin. Es ging um Gerechtigkeit in einem Völkermord, meint Matthias von Hein.

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Jennifer W. verdeckt ihr Gesicht mit einem Aktenordner, neben ihr - durch eine Plexiglasscheibe abgetrennt, ihr Anwalt Ali Aydin. Im Hintergrund drei bayrische Justizbeamte in Uniform und mit Mundschutz
Jennifer W. verdeckt im Gerichtssaal immer ihr Gesicht, wenn Fotografen anwesend sind und Bilder machenBild: picture alliance/dpa

Ist das die erhoffte Gerechtigkeit für die Jesiden? Das Oberlandesgericht München hat einen tragbaren Kompromiss gefunden zwischen individueller Schuld und kollektivem Trauma. Zehn Jahre Haft lautete das Urteil gegen Jennifer W. in einem Prozess, der weltweit verfolgt wurde. Weil hier weltweit zum ersten Mal gegen ein Mitglied der Terrormiliz IS Anklage erhoben wurde wegen Straftaten gegen das Völkerrecht in Zusammenhang mit dem Völkermord an den Jesiden.

Die im Nordirak ansässige Minderheit war von den religiös bemäntelten Faschisten des IS als "Teufelsanbeter" denunziert und zu Untermenschen erklärt worden. Sie wurden zu Tausenden getötet, verschleppt, vertrieben. Auch die damals 23-jährige Islamistin aus Lohne konnte, ja musste das wissen, als sie ins Terrorkalifat ausreiste, um dort einen IS-Kämpfer zu heiraten.

Nur eine machtlose Ehefrau?

Im Fall Jennifer W. bündeln sich die Gräuel der Verfolgung, der die jesidische Minderheit ab dem Sommer 2014 durch die Dschihadistenmiliz des IS ausgesetzt war: Eine jesidische Mutter wird mitsamt ihrer fünfjährigen Tochter verschleppt und versklavt; sie landet in der Hand eines irakischen IS-Anhängers, der seiner aus Deutschland ins Terrorkalifat eingewanderten Frau eine Sklavin für den Haushalt bieten will; die Leben der beiden sind so wenig wert, dass der Mann das Mädchen als Strafe für eine Nichtigkeit in sengender Mittagssonne im Hof ankettet - und dort sterben lässt.

DW Kommentarbild Matthias von Hein
DW-Redakteur Matthias von Hein

Zweieinhalb Jahre wurde in München verhandelt. Zweieinhalb Jahre ging es im Kern um die Frage: War die junge Islamistin aus dem niedersächsischen Lohne an jenem schicksalhaften Augusttag 2015 tatsächlich so machtlos gegenüber ihrem Ehemann, wie sie es darstellt? Oder wurde sie in Falludscha zur Mörderin?

Nach quälenden Zeugenaussagen, nach Einlassungen von Experten, nach den Verhören von Polizeibeamten entschied das Gericht maßvoll. Dass Jennifer W. dem Drama tatenlos zugeschaut hat, obwohl sie hätte eingreifen können, sieht das Gericht als erwiesen an. Und sprach die 30-Jährige deshalb der "Versklavung mit Todesfolge" schuldig. Treibende Kraft aber sei ihr Mann gewesen, begründete das Gericht das Strafmaß. Mit zehn Jahren ist es deutlich unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten lebenslangen Haft geblieben.

Anerkennung des Völkermords

Zugleich betonte das Gericht, dass Jennifer W. mit ihrer IS-Mitgliedschaft die "Vernichtung der jesidischen Religion" und die "Versklavung des jesidischen Volkes" unterstützt habe. Das Urteil erkennt damit den Völkermord an den Jesiden ausdrücklich an. Ein wichtiges Signal an die jesidische Gemeinde, die seit Jahren darauf wartet, dass die Täter verfolgt und vor Gericht gestellt werden.

Mittlerweile haben auch andere deutsche Gerichte in Prozessen gegen ehemalige IS-Mitglieder die Verbrechen gegen die Jesiden behandelt. In Düsseldorf etwa war eine IS-Rückkehrerin auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu mehr als vier Jahren Haft verurteilt worden. Sie hatte eine Jesidin für sich arbeiten lassen, die von einer anderen Frau als Sklavin gehalten wurde.

Systematische Aufarbeitung in weiter Ferne

Zugleich zeigt das Verfahren gegen Jennifer W.: So wichtig die Aufarbeitung des Grauens vor deutschen Gerichten ist, so schwierig ist es auch. Beweismittel im Irak oder Syrien zu beschaffen, Zeugen vorzuladen, Ortsbegehungen - all das ist zumindest schwierig, oft unmöglich. Letzten Endes kann nichts eine systematische Aufarbeitung des Völkermordes vor Ort ersetzen. Die aber scheint bestenfalls in weiter Ferne. Bislang sitzen die traumatisierten Jesiden noch immer zu Tausenden in nordirakischen Flüchtlingslagern fest. Wegen der miserablen Sicherheitslage in ihrem angestammten Siedlungsgebiet im Sindschar-Gebirge können sie sich noch nicht einmal in ihre Heimat zurücktrauen.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein