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(K)einer gegen Steinmeier

15. Januar 2022

Die Wahl des Bundespräsidenten verkommt abermals zum reinen Ritual. Deshalb freut sich Marcel Fürstenau, dass die Linke mit ihrem chancenlosen Kandidaten die Harmonie wenigstens ein bisschen stört.

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Bundespräsident Steinmeier vor seiner Amtsflagge mit der rechten Hand auf der Brust
Frank-Walter Steinmeier kann sich bereits über seinen Verbleib im Schloss Bellevue freuenBild: Chris Emil Janßen/imago images

So richtig spannend war die Wahl des Bundespräsidenten in Deutschland noch nie. Ändern könnte sich das nur, wenn der Souverän, also das Volk, über sein Staatsoberhaupt selbst abstimmen dürfte. Aber leider fehlt der politischen Klasse noch immer der Mut, diese Form der direkten Demokratie zuzulassen. Stattdessen entscheiden die 736 Bundestagsabgeordneten und ebenso viele Abgesandte der 16 Bundesländer darüber, wer im Berliner Schloss Bellevue residiert.

Seit 2017 ist das Frank-Walter Steinmeier. Und der ehemalige deutsche Außenminister darf sich schon jetzt auf fünf weitere Jahre an der Spitze des Staates freuen. Denn an seiner Wiederwahl kann es angesichts der überwältigenden Mehrheitsverhältnisse in der sogenannten Bundesversammlung keinen Zweifel geben. Er ist nämlich der gemeinsame Kandidat aller Parteien, die sich selbst der politischen Mitte zuordnen.

Die Ampel-Koalition verhält sich, wie zu erwarten war

Nominiert wurde Steinmeier von den Sozialdemokraten (SPD). Jener Partei, aus der er selbst stammt. Als Bundespräsident muss er jedoch seine Mitgliedschaft ruhen lassen, weil er in der Ausübung seines Amtes zur Neutralität verpflichtet ist. Dass Steinmeier den Job gerne weiter ausüben will, ist seit Mai 2021 bekannt. Damals erklärte er seine Bereitschaft für eine zweite Kandidatur.

Dass seine Wiederwahl inzwischen nur noch eine Formalie ist, hat entscheidend mit dem überraschenden SPD-Sieg bei der Bundestagswahl im September und der neuen Regierung zu tun. Denn das wegen seiner Parteifarben Rot, Grün und Gelb als Ampel-Koalition bezeichnete Trio aus SPD, Grünen und Freien Demokraten (FDP) tut das Erwartbare: Es unterstützt Steinmeier.

Angela Merkel wollte nicht kandidieren

Sogar die Christdemokraten (CDU) und ihre bayrische Schwesterpartei CSU verzichten darauf, jemand ins Rennen zu schicken. Was in ihrem Fall eine kluge Entscheidung ist, weil sie zumindest in den eigenen Reihen keine vorzeigbare und überzeugende Alternative zu bieten haben. Angela Merkel, die weltweit respektierte und in Deutschland sehr beliebte ehemalige Bundeskanzlerin hätte es sein können. Aber sie hatte frühzeitig kundgetan, nach 16 Jahren als Regierungschefin keine politischen Ämter mehr anzustreben.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Schade, denn auf die erste Bundespräsidentin muss Deutschland nun mindestens weitere fünf Jahre warten. Zwölf Männer wurden seit Gründung der Bundesrepublik 1949 in das formal höchste Staatsamt gewählt. Schon das ist langweilig. Ach was, peinlich ist das passendere Wort! Da mag der amtierende Mann noch so populär sein - es gäbe sicherlich mehr als eine Frau, die das in erster Linie repräsentative Amt mindestens genauso gut ausfüllen könnte.

Die Grünen hatten keinen Mut

Doch diese Chance wurde ein weiteres Mal vertan. Schade, dass sich die sonst gerne so fortschrittlich gebärdenden Grünen keinen Mut hatten, den anscheinend in Stein gemeißelten Automatismus der Bundespräsidenten-Wahl zu durchbrechen. Nach längerem Zögern sagten sie Steinmeier ihre Unterstützung zu. Eine eigene Kandidatin hätte allen voran die Koalitionspartnerin SPD als Affront empfunden. Nach dieser Logik wird in Deutschland seit jeher entschieden. Ein Ritual, das Langeweile garantiert.

Vor diesem Hintergrund ist es fast schon bedauerlich, dass die programmatisch und personell ausgelaugten Unionsparteien nach der Bundestagswahl in der Opposition gelandet sind. Hätte es für eine Regierungsmehrheit von CDU, CSU und Grünen gereicht, wäre die Chance auf die erste Bundespräsidentin größer denn je gewesen. Denn es spricht aus Erfahrung wenig dafür, dass der SPD-Kandidat Steinmeier dann ohne aussichtsreiche Konkurrenz geblieben wäre.

Mit Trabert kommt das Thema Armut auf die Agenda

Mindestens einen Gegenkandidaten hat das amtierende und sehr wahrscheinlich künftige Staatsoberhaupt aber trotzdem. Der Mann heißt Gerhard Trabert und ist Mediziner. Nominiert wurde er von der Linken. Ihr gemeinsames Ziel: In den wenigen Wochen bis zur Wiederwahl Steinmeiers auf einen gesellschaftlichen Skandal hinzuweisen: die weit verbreitete Armut in Deutschland.

Sozialmediziner Gerhard Trabert
Bundespräsident wird Gerhard Trabert nicht, aber mit seiner Kandidatur sendet er ein Zeichen an Frank-Walter SteinmeierBild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Ein Phänomen, dass man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und bewerten kann, gewiss. Aber eines, dass in der reichen Bundesrepublik seit Jahren immer sichtbarer wird: Obdachlose unter Brücken und auf Parkbänken oder in Suppenküchen und Bahnhofsmissionen. Sie sind es, um die sich Gerhard Trabert mit seiner mobilen Arztpraxis kümmert. Menschen, die keine Krankenversicherung und keine Perspektive haben. Und keine Lobby.

Vielleicht findet Steinmeier ein neues Thema

Natürlich ist der einer breiteren Öffentlichkeit bislang unbekannte Kandidat absolut chancenlos. Für sein soziales Engagement ist er schon 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Seitdem ist die Armut in Deutschland immer größer geworden. Dass die nur knapp wieder in den Bundestag gewählte Linke dieses Thema auch zur eigenen Profilierung nutzt, gehört zum politischen Geschäft. Aber nur sie kann auch glaubwürdig einen Kandidaten wie Gerhard Trabert für die Wahl des Staatsoberhaupts aufstellen.

Und vielleicht löst seine symbolische Nominierung bei Frank-Walter Steinmeier etwas für seine so gut wie sichere zweite Amtszeit aus: den Kampf gegen die Armut in Deutschland und der Welt stärker in den Fokus zu nehmen. Denn auf diesem Feld hat er bislang keine starken Akzente gesetzt. Mit der Macht des Wortes, die des Bundespräsidenten stärkste Waffe ist und bleibt, könnte er daran etwas ändern.

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Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland