Über viele Jahre gab es eine bleierne Atmosphäre in der Deutschen Bischofskonferenz. Bei Vollversammlungen der knapp 70 Oberhirten saß immer jemand mit am Tisch, der genug Macht und Einfluss hatte, durch seinen guten Draht in den Vatikan über die römische Bande zu spielen. Und damit aus einer Minderheitsposition heraus die Mehrheit der deutschen Bischöfe auszuspielen.
Nicht selten war dies der Kölner Kardinal Joachim Meisner (1989-2014), der so sein eigenes Verständnis von geistlicher Macht exerzierte. Bleiern wurde diese Zeit, weil Bischöfe dennoch stets Einmütigkeit vorgaukelten. Das öffentliche Aushalten schwerer Konflikte war ihre Sache nicht.
Konsens, dass es Dissens gibt
Der Eklat bei der Vollversammlung des Synodalen Weges von Laien und Bischöfen Mitte September in Frankfurt am Main, als eine Sperrminorität der Bischöfe ein Grundlagen-Papier zur Reform der Sexualethik ausbremste, änderte das. Seitdem liegt die Lagerbildung in der Bischofskonferenz offen zu Tage. "Wir haben einen Konsens darüber, dass es Dissens gibt", sagte Bischof Bätzing, der Vorsitzende der Konferenz. Diese Meinungsverschiedenheiten gelte es "auszuhalten, ohne dass wir als Weggemeinschaft auseinanderfallen". Das klang mindestens so sehr wie ein frommer Wunsch, denn wie eine Situationsbeschreibung.
Gut, dass sie endlich streiten. Die katholische Kirche, in Deutschland wie auf Weltebene, realisiert, dass sie über Jahrzehnte die Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre verpasst hat und Rufe nach Erneuerung verhallen ließ. Wenn diese zu oft erklangen, wurden Kleriker und erst recht Bischöfe von Rom zur Ordnung gerufen und umso strikter in die Pflicht genommen. Viele Gläubige sehen ihre Kirche heute nur noch als Moralanstalt und nicht mehr als Weggemeinschaft im Ringen um den Sinn des Lebens und die Frage nach Gott.
Sicher - da stehen wesentliche Fragen zur Debatte. Wenn man übrigens am Abend nach den Beratungen in Fulda gelegentlich Paare von zwei Bischöfen - durchaus aus unterschiedlichen Lagern - im ernsten Gespräch durch die Stadt spazieren sah, wirkte das wie "Kirche auf dem Weg". Sie üben. Eher wohl als jener Kardinal, der den Abend mit Kräften der kleinen reformkritischen Gruppierung Maria 1.0 in einem Restaurant der Stadt verbrachte.
Die kommenden Monate entscheiden die Zukunft
Klar ist: Es geht in den nächsten ein, anderthalb Jahren um den Weg der katholischen Kirche in den kommenden Jahrzehnten. Man will ihr wünschen, dass sie - mit neuer geistlicher Kraft, mehr Gleichberechtigung und Ämtern für Frauen, mit mehr Einbeziehung von Laien und einer Abkehr von klerikaler Macht - weiter ihren Weg durch diese Welt zieht. Und dass diese Kirche nicht allein als Häuflein der Aufrechten nur im Innenkreis ihrer Glaubensburg herumtrippelt.
Mitte November reisen alle deutschen Bischöfe in den Vatikan zu Gesprächen mit dem Papst und seinen wichtigsten Beratern. Solche Tage der Begegnung oder Unterweisung stehen etwa alle fünf Jahre an. Jetzt fallen sie in kirchlich spannende und unsichere Zeiten. Ende Februar tagen die Bischöfe erneut, im März 2023 folgt der Abschluss des Synodalen Weges, der durchaus noch scheitern kann, aber nicht scheitern darf. Und im Herbst 2023 folgt eine große Bischofssynode im Vatikan zu Reformfragen.
Provokation durch Kardinal Koch
Wie kontrovers die Sichtweise ist, wie blank die Nerven liegen, das offenbarte der Ökumene-Minister des Papstes, Kurienkardinal Kurt Koch, vor Abschluss der Vollversammlung in einem Interview. Da setzte er den Synodalen Weg in direkten Bezug zu Denkweisen "während der nationalsozialistischen Diktatur". Eine unverschämte, geradezu infame Äußerung. In der Politik wäre ein Minister nach einem solchen niveaulosen Ausfall Tage später ein Ex-Minister. In der katholischen Kirche wird er wohl am Montag wieder zur Arbeit in seinen Palast gehen und unterwegs manches Schulterklopfen spüren.
Aber die deutschen Bischöfe fordern eine öffentliche Entschuldigung und erwägen eine formelle Beschwerde beim Papst. Doch letztlich passt auch diese Kontroverse zur Stimmung der Kirchenmänner, stets Recht zu haben und sich nicht bewegen zu wollen.
Sträflich verrinnt die Zeit
So lassen viel zu viele Bischöfe die Zeit dahingehen. Was geradezu sträflich ist: In Fulda äußerten sich zwei Bischöfe vor Journalisten, die viel mit der Aufarbeitung von Missbrauch im kirchlichen Kontext zu tun haben. Da zog der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der das Thema für die Bischofskonferenz seit zwölf Jahren federführend behandelte, Bilanz und blickte selbstkritisch zurück auf "oft sehr kleinschrittig" erfolgtes Agieren. Und sagte: "Wären wir Dinge entschiedener, breiter und mit mehr Offenheit angegangen, dann wären wir heute weiter."
Entschiedener, breiter, offener - das wirkte erfrischend ehrlich! Und geradezu tragisch zugleich. Aber es passt zum Stil der verpassten Chancen und der vertanen Zeit. Die Zeit, mutiger voranzugehen, ist überfällig!