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Ein misslungenes Gedicht

Bettina Marx4. April 2012

Kritisieren darf man immer. Debatten anstoßen auch. Aber Günter Grass hätte lieber einen politischen Essay schreiben sollen, statt dieses merkwürdige Gedicht, meint DW-Redakteurin Bettina Marx.

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Kommentar Deutsch

Günter Grass hat all denen, die vor einem israelischen Angriff auf den Iran warnen, einen Bärendienst erwiesen. Denn sie müssen sich jetzt in Mithaftung nehmen lassen für seine überzogene Rhetorik. Mit seinem merkwürdigen Gedicht ist er dermaßen über das Ziel hinausgeschossen, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Natürlich plant die israelische Regierung keinen atomaren Erstschlag gegen den Iran, wie er in seinen Strophen anklingen lässt. Und sie hegt auch keine Vernichtungsphantasien gegen die islamische Republik, die ihrerseits sehr wohl dem jüdischen Staat das Existenzrecht abspricht.

Der ganze verschraubte Stil des Gedichts zeigt doch eher, wie verklemmt der Dichter ist, wenn er meint, den Namen des Staates nicht aussprechen zu dürfen, der im Nahen Osten bereits über Atomwaffen verfügt – um es dann ein paar Zeilen weiter doch zu tun. Dass er die so wichtige politische Diskussion um einen möglichen israelischen Angriff auf den Iran und seine unvorhersehbaren Konsequenzen mit seiner eigenen befangenen Haltung Israel gegenüber verquickt, ist peinlich und unpassend. Und dass er sich selbst dabei in der Rolle des Märtyrers sieht, der unter Androhung des Antisemitismus-Vorwurfs tapfer die unbequemen Wahrheiten ausspricht, ist pathetisch.

Eine wichtige Debatte

Dabei ist das Thema, um das es geht, wichtig und die Debatte darüber unbedingt notwendig. Ein israelischer Luftangriff auf die iranischen Nuklearanlagen könnte unbeherrschbare Folgen für die ganze Region haben. Er könnte den Nahen Osten in einen Eskalationsstrudel reißen, dem auch Israel selbst nicht entkommen würde. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak selbst, einer der entschiedenen Befürworter der Angriffspläne, hat eingeräumt, dass es in Israel einige hundert Tote geben könnte, wenn der Iran zurückschlägt und Raketen auf Israel abfeuert.

Nicht von ungefähr warnen führende israelische Geheimdienstexperten, Intellektuelle und Journalisten seit Wochen, ja Monaten vor den Folgen und Auswirkungen eines Alleingangs ihrer Regierung gegen Teheran. Ein Großteil der israelischen Bevölkerung lebt schon seit dem vergangenen Spätherbst, seit in den Zeitungen des Landes die Iran-Debatte mit aller Ernsthaftigkeit geführt wird, in fast panischer Angst vor den Kriegsplänen des Gespanns Netanjahu-Barak. Kürzlich hat ein israelisches Ehepaar deswegen sogar eine Internet-Kampagne gestartet, mit der es die Bürger des Iran direkt anspricht und sich von der Kriegsrhetorik der Regierung in Jerusalem distanziert.

Fragen, die gestellt werden müssen

Auch die atomare Bewaffnung Israels selbst sollte in einer solchen Debatte thematisiert werden. Denn warum soll Israel als einziges Land im Nahen Osten von kritischen Nachfragen ausgenommen werden? Und warum maßt sich Jerusalem ein Recht an, das es seinen Nachbarn mit großer Selbstverständlichkeit vollkommen abspricht?

Zweifelsohne muss in Deutschland auch diskutiert werden, was ein möglicher israelischer Angriff für die Bundesrepublik bedeutet. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ausdrücklich die Verantwortung Berlins für die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsraison erklärt. Soll Deutschland also einen Krieg gegen den Iran unterstützen oder nicht doch lieber umgekehrt Israel vor einem solchen Waffengang warnen? Und ist es richtig, dass die Bundesregierung gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstößt und Israel U-Boote liefert, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können?

All dies sind Fragen, die gestellt werden dürfen und müssen. Vielleicht wird es das Verdienst von Günter Grass sein, mit seinem misslungenen Gedicht eine solche Debatte angestoßen zu haben. Leider ist aber eher zu befürchten, dass die Empörung über seine Intervention jede notwendige sachliche Auseinandersetzung erst recht unmöglich macht.