Mehr als zwei Jahrzehnte sind vergangen von der Idee des Bundes der Vertriebenen in Deutschland bis zur Eröffnung des "Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung" in Berlin. Dass um diesen Ort, an dem an das Leid der vertriebenen Deutschen aus Osteuropa am Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert werden soll, so lange gerungen wurde, hat gute Gründe. Die Bedenken, dass dieses Haus gegenüber dem erhaltenen Eingangsportal des kriegszerstörten Anhalter Bahnhofs in der Hauptstadt zu einem Fixpunkt des historischen Revisionismus werden könnte, waren einfach nicht zu von der Hand zu weisen. Und sie sind es bis heute nicht.
Kritik kommt auch jetzt wieder aus der Tschechischen Republik und aus Polen. Und diese Warnungen sind berechtigt und verdienen Respekt. Das liegt auch an den ursprünglichen Ideengebern dieses Museums.
Empathie und historisches Feingefühl
Denn die jährlichen Treffen der Vertriebenenverbände der alten Bundesrepublik waren bis weit in die 1980er-Jahre entgegen jeder zeitgeschichtlicher Evidenz nicht frei von Versuchen, das Leid der deutschen Flüchtlinge und Zwangsvertriebenen mit der Ursache des damaligen Geschehens aufzuwiegen. Also den Vernichtungsfeldzügen der Deutschen im Osten Europas, der Ermordung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden, ja dem Leid, das Deutsche über diesen Kontinent gebracht haben. Und das als erstes über die Menschen in der Tschechoslowakei und Polen.
Menschliches Leid aber kann nicht aufgewogen werden. Es ist gut, dass sich die Politik in Deutschland insgesamt diesem Projekt angenommen und die Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" gegründet hat, die das Dokumentationszentrum jetzt betreibt. Viele Interessensgruppen des Landes sind in der Stiftung vertreten, darunter auch die Kirchen. Es ist ganz dünnes Eis, auf dem sich die Macher des Dokumentationszentrums bewegen, die neben den Ausstellungen jetzt für das Begleitprogramm verantwortlich sind. Auf sie kommt es jetzt an, damit aus diesem Ort ein Zentrum der Versöhnung wird. Und zwar mit Empathie und historischem Feingefühl. Sie werden daran gemessen werden.
Viele Deutsche, auch in der Politik, verstehen nicht, dass dieser historische Heilungsprozess auch drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und mehr als 75 Jahre nach Kriegsende für viele Menschen gerade in Ostmitteleuropa erst beginnt - zumal in Polen. Aussagen wie, dass die nationalsozialistische Gewaltherrschaft doch ein "Fliegenschiss" in der ansonsten so großartigen deutschen Geschichte gewesen sei, werfen diese Versöhnung der Opfer mit den Tätern immer wieder zurück.
Schlüssel zu nachhaltigem Frieden
Doch Versöhnung kann auch gelingen. Es waren auch Mitglieder der Vertriebenenverbände und Landsmannschaften, die nach dem Mauerfall in die Dörfer und Städte ihrer Geburt gefahren sind, in jene Regionen, die einmal Teil Deutschlands östlich von Oder und Neiße waren. Zum Beispiel in das heute im Südwesten Polens gelegene Schlesien - um dort Frieden zu schließen. Mit sich und jenen Polinnen und Polen, die dort Heimat gefunden haben. Also den Familien, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der heutigen West-Ukraine nach Schlesien ebenfalls zwangsweise umgesiedelt worden sind und heute in den Geburtshäusern deutscher Vertriebener leben.
Diesen menschlichen Weg und seine große Kraft für eine psychologische Entlastung für ganz Europa zu dokumentieren, muss auch Teil des Begleitprogramms des neuen Dokumentationszentrums in Berlin werden. Es ist einer von mehreren Schlüsseln zu nachhaltigem Frieden auf dem Kontinent. Dass die Europäer und gerade die Deutschen - auch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg - offensichtlich viel zu wenig gelernt haben, das haben die ethnisch motivierten Vertreibungen während der Kriege im früheren Jugoslawien gezeigt, die zunächst apathisch hingenommen worden sind. Wir sehen es auch heute wieder in der Ukraine. Es passiert immer wieder. Auch in Europa.