Mein Europa: Künstler mit Kindern
19. August 2017Wenn ein Kind die Theaterbühne betritt, nur kurz, als Figur in einem Stück, zieht es alle Blicke der Zuschauer auf sich. Ob es gleich patzen wird? Weiß es noch, wo es hingehen muss, ohne ins Publikum zu schauen? Manche werden das Kind rührend finden, andere wiederum werden sagen, dass Kinder in Stücken für Erwachsene nichts zu suchen haben. Die Anwesenheit eines Kindes bedeutet aber so oder so eine Unterbrechung der großen Fiktion auf der Bühne. Man ist dem Kind zugewandt und fällt zunächst einmal selbst aus der (Zuschauer-)Rolle. Schauspieler antworten auf die Frage, was sie niemals tun würden, gern: "Mit Kindern oder Tieren auftreten."
Was nun, wenn ein Kind in das Leben eines Künstlers tritt, in das einer Schriftstellerin? Inwiefern akzeptiert ein Literaturbetrieb Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die Eltern sind?
Vor einem Jahr habe ich meine sechsjährige Tochter mit auf eine Lesereise durch Schleswig-Holstein mitgenommen. Sie hatte Sommerferien. Auf den langen Zugfahrten habe ich ihr vorgelesen, oder wir haben gemalt. In den Hotels habe ich einen Zuschlag bezahlt. Unser Tagesprogramm war ein kinderfreundliches, mit Spielplatz und Karussell. Bei unserer ersten Station, in Husum, haben wir auch das Haus des Schriftstellers Theodor Storm besucht, ein recht kleines Haus, in dem er mit seiner Frau und vielen Kindern gelebt hat. Wie er überhaupt mit so vielen Kindern schreiben konnte, all die Bücher, all die Briefe? Meine Tochter hat sich dann gleich an den Schreibtisch Theodor Storms gesetzt und die nachdenkliche Pose des Schriftstellers nachgestellt, dessen Konterfei überall hing.
Verärgertes Publikum in Deutschland, liebevolle Babysitter in Skandinavien
Während meiner Lesungen wurde meine Tochter netterweise, auf meine Bitte hin, von einer Praktikantin oder einer Sekretärin der jeweiligen Literaturhäuser betreut. Diese Betreuung hatte ich lange im Voraus schriftlich erbeten. Bei der einen Lesung aber war das Hauspersonal irritiert von meiner Bitte und hat keine Betreuung organisiert.
So kam es dann wie in der Commedia dell'arte: Meine Tochter, die im Publikum saß, wollte irgendwann auf die Toilette, stand umständlich auf, entschuldigte sich bei allen, ging raus und traf auf dem Flur einen großen Hund. Als ich sie schreien hörte, sprang ich auf und lief hinaus. Dann wollte meine Tochter in den Hof, um Trampolin zu springen - auf einem Trampolin, das ich vom Lesepult aus sehen konnte. Umgehend kam sie aber zurück, mitten in der Lesung, und flüsterte mir ins Ohr, dass sie nasse Socken habe. Den meisten Leuten im Publikum konnte man ansehen, dass sie verärgert waren und diese Veranstaltung als eine Zumutung empfanden.
Ganz anders erging es mir in Schweden, auf der Buchmesse Göteborg. Ich fuhr mit meinem Sohn dorthin, als er noch ein Säugling war. Die Gastgeber von der Buchmesse organisierten eine Babysitterin, die mich auf Schritt und Tritt begleitete. Überhaupt arbeitete die Buchmesse mit einer Kinderkrippe zusammen: Die Kinder der geladenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, aber auch die der Ausstellern und des Messepersonals wurden da liebevoll betreut.
Eine andere schöne Erinnerung habe ich von den Literaturtagen in Solothurn, in der Schweiz, wo mehrere Autorinnen und Autoren mit Kindern eingeladen waren. Da haben wir abwechselnd auf alle Kinder aufgepasst, sodass jeder von uns seine Lesetermine absolvieren konnte.
Im Literaturbetrieb kommt es auf diese Privatinitiative an. Das vorherrschende Bild von einer Schriftstellerin oder einem Schriftsteller ist vielerorts leider immer noch das von einem solitären Wesen.
Dana Grigorcea, Jahrgang 1979, ist eine schweizerisch-rumänische Schriftstellerin und Philologin. 2011 debütierte sie mit dem Roman "Baba Rada", den sie auf Deutsch verfasste. Zuletzt erschien von ihr 2015 der Roman "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit".