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"Mein Einsatz": Roberto Di Bella im literarischen Dialog

Die Fragen stellte Sabine Peschel.24. Februar 2016

Im Kölner Autorencafé fremdwOrte können geflüchtete Schriftsteller mit deutschsprachigen Kollegen zusammenkommen. Die Idee hierzu kam dem Literaturwissenschaftler und Kulturvermittler Roberto Di Bella durch einen Zufall.

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Roberto Di Bella (Foto: Roberto Di Bella)
Bild: Roberto Di Bella

Schriftsteller, Musiker, Künstler, Theaterleute – viele sehen sich als Bürger dieser Welt und nutzen ihre Popularität, um zur Solidarität mit Flüchtlingen aufzurufen, Spenden zu sammeln oder aufkeimenden Rassismus zu kritisieren. Woher kommt ihr Engagement? Drei Fragen, drei Antworten: unsere DW-Serie "Mein Einsatz".

DW: Wie setzen Sie sich für Flüchtlinge ein?

Roberto Di Bella: Mein Weg führt über die Literatur. Ich bin promovierter Germanist, beschäftige mich also seit vielen Jahren auch beruflich mit Literatur und Fragen der Übersetzung. Außerdem war ich fünf Jahre lang für den DAAD (Deutscher Akademischer Auslandsdienst) als Dozent und Kulturvermittler in Frankreich tätig. Und schließlich kenne ich viele Autorinnen und Autoren persönlich, im Kölner Raum und darüber hinaus. An der Universität Köln, wo ich aktuell als Lehrbeauftragter unterrichte, besuche ich auch regelmäßig die dortige Autorenwerkstatt. Im Dezember 2014 waren dort einmal zwei junge Asylsuchende zu Gast, Omoregbe Darlington Imwonghomwen aus Nigeria und Oumar Barry aus Guinea, die kurz zuvor aus ihren Ländern geflohen waren. Margarete Verweyen, Teilnehmerin der Werkstatt und in der Flüchtlingshilfe engagiert, hatte die beiden in einem spontanen Impuls mitgebracht, um sie den anderen vorzustellen und ihnen eine Abwechslung zum tristen Alltag im Wohnheim zu bieten.

Diese zufällige Begegnung konfrontierte mich erstmals persönlich mit der Flüchtlingsthematik und führte mich bald zu der Frage: Gibt es weitere geflüchtete Schriftsteller oder auch Journalisten wie Darlington und Oumar, denen ich mit meinen Kontakten vielleicht einen Austausch auf Augenhöhe ermöglichen kann? Im Hintergrund stand auch der Gedanke "Was kann ich in dieser Situation konkret tun? Welchen Beitrag kann ich leisten?" Als ich diese Idee in meinem Bekanntenkreis erzählte, kam ich auch mit Bettina Fischer, der Leiterin des Literaturhauses Köln, ins Gespräch. Sie war gleich begeistert davon und stellte erste wichtige Kontakte her, z. B. zu der Arabistin und Literaturübersetzerin Larissa Bender, die auch in der Kölner Syrienhilfe aktiv ist, oder dem Schriftsteller und Islamwissenschaftler Stefan Weidner, der für das Goethe-Institut die viersprachige Kulturzeitschrift Fikrun wa Fann betreut.

Am Anfang wussten wir ja nicht, von wie vielen Personen man eigentlich ausgehen könnte. Ich habe den Kreis jedoch gleich auf Journalisten und literarische Übersetzer erweitert, um das Spektrum der Sprachvermittlung insgesamt in den Blick zu nehmen. Im Sommer gab es dann die Gelegenheit, die Idee eines ersten Treffens zu testen. Am 20. Juni war Weltflüchtlingstag und im Rahmen der Aktion #tuerauf fanden in ganz Köln zahlreiche Veranstaltungen und Aktionen statt. Unter dem Motto "Tür auf für die Literatur!" haben Bettina Fischer und ich Kölner und Neu-Kölner Autoren, Journalisten und Übersetzer zu einer ersten, ganz offenen Begegnung ins Literaturhaus Köln eingeladen. Hieraus entstand schon eine gute Dynamik und eine schöne Kerngruppe. Von der Resonanz ermutigt, wollte ich das weiter ausbauen – jedoch nun in einem etwas intimeren Rahmen und konkreter auf die Literatur bezogen. Das Literaturhaus war wiederum gleich bereit, auch weiterhin seine Gastfreundschaft anzubieten. Seit Oktober letzten Jahres also findet einmal im Monat ein Treffen statt, im dortigen Bibliotheksraum. Ein Treffen, zu dem eben nicht nur geflüchtete Autoren und Autorinnen eingeladen sind, sondern weiterhin bewusst auch die deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen. Das Kulturamt der Stadt Köln und seit kurzem auch die Caritas mit der Aktion Neue Nachbarn unterstützen das Projekt finanziell.

'Interkulturelles Literaturcafé fremdwOrte' im Literaturhaus Köln (Foto: Jürgen Salm)
"Interkulturelles Literaturcafé fremdwOrte" im Literaturhaus KölnBild: Jürgen Salm

Warum tun Sie es?

Die Literatur ist eine Brücke, eine Möglichkeit der Integration und Begegnung. Das ist der Bereich, in dem ich mich auskenne und den ich weiter mit Leben erfüllen möchte. Die zahlreichen Kölner Willkommensinitiativen machen so viele tolle Angebote: Aktivitäten für Kunst oder Sport, Arbeit mit Kindern oder kostenlose Sprachkurse. Ich wollte mich einbringen mit dem, worin ich mich auskenne: Literatur und Vermittlung. Es geht ganz praktisch darum, Netzwerkarbeit zu betreiben: sich kennenlernen, Kontakte knüpfen, Informationen austauschen, Übersetzungen anregen, Möglichkeiten für Lesungen und Veröffentlichungen vermitteln. So gibt es z.B. bereits eine Kooperation mit der Kölner Stadtrevue, um einzelne Texte abzudrucken.

Sicher hat meine Motivation auch mit meinem eigenen italienisch-spanischen Migrationshintergrund zu tun. Und schließlich beschäftige ich mich auch beruflich mit literarischen Texten, die Fragen des Unterwegsseins in Sprache und Kultur verhandeln. Hier wiederholen sich, so finde ich, Entwicklungen, die z.B. Anfang der 1980er Jahre in der sogenannten Gastarbeiterliteratur ihren Anfang nahmen, als deutschschreibende Autoren nicht-deutscher Herkunft wie Rafik Schami oder Franco Biondi sich zu Wort meldeten und solidarisierten. Bei jeder Einwanderungsbewegung nach Deutschland der letzten Jahrzehnte war immer auch die Literatur Begleiterin. Eine Institution wie der renommierte Adalbert-von-Chamisso-Preis spiegelt das durch die Liste ihrer Preisträger wider. Und ich bin mir sicher: Auch die Autoren, die jetzt zu uns kommen bzw. Kinder heutiger Flüchtlinge, die hier zu schreiben beginnen, sie werden in 20 oder 30 Jahren die literarische Landschaft in Deutschland mitprägen, ein selbstverständlicher Teil von ihr sein. Das zeigt aktuell ein Autor wie Abbas Khider, der 2000 mit 27 Jahren in Deutschland Asyl fand und in diesem Jahr seinen vierten Roman auf Deutsch vorgelegt hat.

Interessant für mich ist es, zu beobachten, dass zu den Treffen des Cafés eben nicht nur geflüchtete Autoren kommen, sondern ebenso Menschen, die selbst einen anderen kulturellen Hintergrund haben und an diesen Gesprächen teilhaben wollen. So bildet der Kreis mittlerweile fast die gesamte Migrationsgeschichte der Bundesrepublik ab: die Übersetzerin und Sprachbuchautorin Barbara Derkow-Disselbeck z.B. floh mit ihren Eltern als Kind aus Nazideutschland nach England und kam später der Liebe wegen zurück; die auf Deutsch und Spanisch schreibende Lyrikerin und Literaturwissenschaftlerin Pilar Baumeister kam 1975 des Studiums wegen nach Deutschland und blieb, ebenso wie aus China die Eltern der Rolf-Dieter-Brinkmann-Preisträgerin Hung-min Krämer. Der Schriftsteller Jovan Nikolić floh während des Kosovokriegs aus Serbien und gibt nun u. a. in Schulprojekten die Kultur der Roma an eine neue Generation weiter. Anahita Mehdipor führt mit ihren Eltern eine persische Verlagsbuchhandlung in Köln, und der in Ratingen geborene Deutsch-Tamile Devakumaran Manickavasagan schreibt über das Leben zwischen den Kulturen und arbeitet beim Deutschen Roten Kreuz in der Flüchtlingshilfe. Doch auch andere Teilnehmer ohne "Migrationshintergrund" wie Linda Pfeiffer, Petra Reategui oder Dorothea Marcus haben ihre persönlichen Erfahrungen mit fremdwOrten, die sie in literarischen und journalistischen Arbeiten darstellen.

Natürlich kommen nicht alle bei jedem Mal. Es gibt keinen "Vereinszwang". Ein aktives Interesse an Literatur und Sprache sollte aber für alle das verbindende Element sein. Es ist ein Mitmach-Café. Einige kommen auch erstmal gucken, was denn da so passiert. Das hat natürlich mit der Sprache zu tun, aber auch damit, dass es selbst für Autoren, die nach Deutschland geflüchtet sind, natürlich auch erst einmal andere Sorgen gibt als die Literatur. Das Ankommen braucht einfach auch Zeit. Regelmäßig kommen etwa zwei Dutzend Personen. Dazu gibt es einen erweiterten Kreis an Multiplikatoren aus der Kölner Kultur- oder Flüchtlingsarbeit. Kürzlich war der Kunsthistoriker Thomas Ketelson vom Wallraf-Richartz-Museum zu Besuch, der für seine aktuelle Ausstellung über die antiken Ruinenstadt Palmyra Kontakt zu syrischen Autoren suchte – und bei mir den jungen Schriftsteller und Archäologen Jabbar Abdullah kennenlernte. Von der Seite der geflüchteten Autoren sind es aktuell etwa 15-20 Personen, mit denen ich in Kontakt stehe, aus dem Kölner Raum vornehmlich. Doch der libysche Schriftsteller Mohammad Al-Asfar z.B. wohnt in Bonn und der syrische Lyriker Marwan Ali reist aus Essen an. Mit Englisch als Verkehrssprache und verschiedenen Dolmetschern versuchen wir die Kommunikation zu gestalten, insbesondere für das Arabische.

Logo FremdwOrte (Foto: Roberto di Bella)
Das Logo des 'Interkulturellen Literaturcafés'

Was möchten Sie bewirken?

Zunächst einmal bin ich immer neugierig auf kreative Menschen und interessante Texte. Und ich möchte mithelfen, dass die Menschen wie die Texte einen Weg in die deutsche Sprache finden. So haben Teilnehmer bereits verschiedentlich bereits in der Gruppe Texte vorgetragen, zu denen ich eine deutsche und/oder englische Übersetzung besorgen konnte: so las die iranische Dichterin Pegah Ahmadi aus ihren Gedichten oder der kurdisch-türkische Autor Cemal Kilic aus Kindheitserinnerungen. Mohammad Ebrahimi aus Afghanistan ist Architekt und hat auf 600 handschriftlichen Seiten einen autobiographischen Roman auf Dari verfasst. Ich hoffe, ich werde auch daraus einmal etwas hören können. Leocadie Uyisenga wiederum schreibt auf Spanisch, weil sie als Jugendliche vor dem Bürgerkrieg in Ruanda zunächst nach Spanien floh. Sie möchte demnächst etwas aus ihrem aktuellen Romanprojekt vortragen, worin sie diese Erfahrungen beschreiben will. Der palästinensische Lyriker und Journalist Ramy Al-Asheq hat seine Reportage über das Flüchtlingslager Yarmuk vorgestellt, in dem er aufgewachsen ist. Nun ist er als Chefredakteur für die seit Januar bestehende erste arabisch-deutsche Flüchtlingszeitung "Abwab" verantwortlich. Informationen, Ideen, Kontakte und Erfahrungen zu vermitteln und sich gegenseitig näher kennenzulernen – das ist auch bei unserem Projekt ein weiteres, gemeinsames Ziel. Der Name – fremdwOrte, mit dem großen O – ist dabei in beide Richtungen gemeint! Es ist nicht nur so, dass wir die Asylsuchenden als "fremd" empfinden können, weil sie andere Sprachen sprechen und von fernen Orten kommen. Diese Wahrnehmung von Fremdheit haben auch diejenigen, die zu uns kommen, sich hier neu orientieren müssen. Wenn sie darüber schreiben, helfen sie wiederum anderen, damit selbst einen neuen Blick auf scheinbar Vertrautes zu werfen. Das ist schließlich seit jeher eine der wichtigsten Aufgaben von Literatur. Beides in einen produktiven Dialog zu bringen, ist mir wichtig. Es gilt, Fremdheit nicht als Bedrohung zu erfahren, sondern als Distanz, die wir gemeinsam überbrücken, aber vielleicht auch wertschätzen und im gegenseitigen Respekt voreinander kultivieren können. Denn: "Fremd sein ist eine Kunst", schreibt Yoko Tawada.

Roberto Di Bellas Eltern kamen in den 1960er Jahren als damals so genannte Gastarbeiter nach Deutschland, der Vater aus Italien, die Mutter aus Spanien. Er selber wurde im bergischen Gummersbach geboren. Er studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Bonn und wurde an der Universität zu Köln mit einer Arbeit über den Autor Rolf-Dieter Brinkmann promoviert. Inzwischen unterrichtet er selber Literaturwissenschaft, wirkt als Übersetzer, Autor und Publizist. Seit Oktober 2015 leitet er das Projekt fremdwOrte – Interkulturelles Autorencafé im Literaturhaus Köln.