Mein Deutschland: Mühsame Demokratie
15. Juni 2016"Erfolg ist kein Glück, sondern nur das Ergebnis von Blut, Schweiß und Tränen", heißt es in einem Lied. Nicht nur das - Erfolg bringt auch nicht unbedingt Glück. Ein erfolgreiches Unternehmen wird schnell zum Ziel von Übernahmen, einer erfolgreichen Institution droht hierzulande im schlimmsten Fall die Schließung. Ein Grund könnte Neid oder eine persönliche Fehde sein. Ganz genau weiß man es nicht, denn so etwas gehört ja nicht in die Öffentlichkeit. Da müssen schon andere Ausreden herhalten.
Das erlebe ich gerade mit der Internationalen Begegnungsstätte (kurz: IB) in Bonn. Nach über 30 Jahren ist sie zu einer Art Treffpunkt aller Völker dieser Welt geworden. In der aktuellen Situation mit besonders vielen Zuwanderern ist eine solche Einrichtung nötiger denn je. (In welcher Verbindung ich zu ihr stehe, erfahren Sie aus einer früheren Kolumne.) Doch die Bonner Stadtverwaltung will sie schließen. Das ist, um Frau Merkel zu zitieren, "nicht nachvollziehbar".
Argumente überzeugen nicht
Es geht wohl in erster Linie um Kostenersparnis. Da aber die Sprach- und Integrationskurse für Flüchtlinge weiterhin stattfinden werden, nur nicht mehr in der IB, sehe ich nicht, wo gespart werden kann. Im Gegenteil, "die Umstrukturierung würde höhere Kosten verursachen", sagt Norbert Gramer, ehemaliger Leiter der IB. Ein anderer Schließungsgrund lautet: Das Haus sei nicht barrierefrei. Das haben alte Häuser so an sich. Die Stufen könnte man ja umbauen, so wie im Film "Ein Mann namens Ove".
In der Überlegung der Stadtverwaltung spielen zudem die anderen Migranten, die schon länger hier leben, keine Rolle mehr. Sie werden so gegen die Flüchtlinge ausgespielt. Also haben wir - 18 Migrantenvereine, die bisher die IB nutzen durften - uns zu einer Initiative für den Erhalt der IB zusammengeschlossen. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich politisch aktiv geworden.
Vorgefasste Meinung
Wir organisieren Unterschriften der Bonner Bürger, sprechen mit den Politikern, demonstrieren vor jeder Ratssitzung und Abstimmung eines Unterausschusses. "Die Unterausschüsse bestehen aus Fachpolitikern und sachkundigen Bürgern", erklärt mir Andrea Schulte von der Stadtverwaltung. Sie gäben eine Empfehlung an den Hauptausschuss ab, der dann die letzte Entscheidung treffe. Während dieses monatelangen Prozesses könnten sich die Damen und Herren vom Hauptausschuss dann eine eigene Meinung bilden, so Schulte weiter. Demokratie braucht halt Zeit.
Mit anderen Worten: Die Politiker haben erst mal keine feste Meinung, schließlich können sie sich ja nicht in allen Bereichen auskennen. Sie hören sich die Pro- und Contra-Argumente an und entscheiden dann nach bestem Wissen und Gewissen.
Soweit die Theorie. In Wirklichkeit haben die meisten Lokalpolitiker aus parteipolitischem Kalkül bereits eine vorgegebene Meinung und sind nicht mehr zugänglich für sachliche Argumente. Ausnahmen bestätigen die Regel. Sonst ist es nicht zu erklären, warum sich das anfängliche Meinungsbild im Hauptausschuss kaum bewegt hat, nachdem die Unterausschüsse deutlich für den Erhalt der IB votiert hatten. So wie einige aus meiner Zunft einen Thesen-Journalismus betreiben nach dem Motto: "Ich lasse mir meine Geschichte doch nicht durch Recherche kaputtmachen", so handeln manche Politiker nach der Devise: "Ich lasse mir meine vorgefertigte Meinung doch nicht durch Argumente ändern."
Fragen über Fragen
Bei einer Demonstration vor dem Ratssaal trafen wir den Oberbürgermeister Ashok Sridharan - einen sehr sympathischen Mann mit indischen Wurzeln. Er zeigte Verständnis für unser Anliegen, sagte aber entschlossen, dass Bonn die IB nicht mehr brauche. Die Kurse werden an die Volkshochschule verlegt. Das machte mich sprachlos. Ein Oberbürgermeister, der die Schließung einer vorbildlichen Institution befürwortet, weiß im Grunde nicht, worum es geht. Während sich die VHS um Erwachsenenbildung kümmert, richtet sich die IB an Kinder und Jugendliche. Außerdem platzt die VHS wegen der Sprachkurse für Flüchtlinge bereits aus allen Nähten und bittet die Internationale Begegnungsstätte um Amtshilfe.
Ohnehin ist mir schleierhaft, warum ausgerechnet ein Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund ein gelungenes Projekt zur Integration beerdigen möchte. Um zu zeigen, dass er sich nicht qua Herkunft auf die Seite der Migranten stellt?
Das ist längst nicht die einzige Frage, auf die mir keiner Auskunft geben kann. Den Stein ins Rollen gebracht hat nämlich Udo Stein, Leiter des Jugendamtes der Stadt Bonn. Man könnte doch meinen, dass er qua Amt ein natürlicher Verbündeter der IB sein müsste, statt sie schließen zu wollen. An diesem Plan hat auch noch die Integrationsbeauftragte der Stadt mitgewirkt, Coletta Manemann. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich habe sie nach dem "Warum?" gefragt - auf eine Antwort warte ich immer noch. (Im Gegensatz zu ihr antwortete der FDP-Fraktionsvorsitzende Werner Hümmrich gleich. Überzeugen konnte er mich allerdings nicht.) Manemanns letzter Besuch in der IB liegt mehrere Jahre zurück. Hat sie damals einen schlechten Tag erwischt?
Einfach schäbig
Mitten in unserem Kampf erreichte uns eine ermutigende Nachricht: Der langjährige Leiter der Begegnungsstätte, Norbert Gramer, erhält gemeinsam mit zwei anderen Persönlichkeiten den Integrationspreis der Stadt Bonn. Der Stadtverwaltung kam das ungelegen. Bei der Preisverleihung, die Ende Mai auf dem Bonner Begegnungsfest stattfand, wurde alles versucht, um den Schließungsplan nicht zu thematisieren. Zuerst sollten die Preisträger nicht einmal auf die Bühne kommen. Da sich der Integrationsrat querstellte, hieß es dann, auf die Bühne ja, aber bitte stumm bleiben.
Über die Zukunft der IB wird am 23. Juni im Hauptausschuss des Statdrats entschieden. Ein ähnlich knappes Ergebnis wie beim EU-Referendum in Großbritannien wird erwartet. Der gemeinsame Kampf hat uns Migrantengruppen zusammengeschweißt. Damit haben wir auch einen Vorwurf der Stadtverwaltung entkräftet: Dass die Vereine in der IB eher nebeneinander als miteinander agieren.
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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