Mein Deutschland: Besser berichten statt empören
16. November 2016Der Wahlsieg von Donald Trump hat mich kein bisschen überrascht. Es ist exakt dasselbe Muster wie beim Brexit-Votum: Die Mainstream-Medien haben sich auf die eine Seite geschlagen und warnen die Wähler vor der anderen Seite, die in ihren Augen das Ewiggestrige und Rassismus verkörpert. Und dann stimmen die Wähler genau für diese andere Seite.
Aber da waren doch auch die Demoskopen, die einen sicheren Vorsprung von Hillary Clinton sahen? Ich habe zwei Erklärungen dafür: Erstens gilt immer noch die Theorie von der "Schweigespirale" der deutschen Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann: Menschen äußern nur dann ihre Ansicht, wenn sie sicher sind, diese sei konform mit der öffentlichen Meinung. Zweitens gab es sehr wohl andere Umfragen, die die Medien aber als unwichtige Wasserstandsmeldungen abtaten, weil sie nicht in ihr Weltbild passten.
Faktenfreiheit gilt wohl auch für Journalisten
Ja, so wie die Wahlforscher haben auch wir Journalisten versagt. Wenn ich "wir" sage, dann meine ich sowohl die amerikanischen als auch die deutschen Medienvertreter. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Deswegen haben wir Donald Trump von Anfang an nicht ernstgenommen. Wir haben ihn ausgelacht und für einen schlechten Scherz gehalten. Auch seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten hat uns nicht wachgerüttelt. Nein, die Amerikaner können doch nicht so dumm sein und einem Hetzer und Lügner ihre Stimme geben. Wir haben uns weiter darauf konzentriert, uns über jeden verbalen Ausfall von ihm zu empören, haben versucht, ihn als "Hassprediger" zu entlarven. Was wir unterlassen haben, ist, uns inhaltlich mit ihm auseinanderzusetzen und die Frage zu stellen, welchen Nerv er bei den Wählern getroffen hat.
"Inhaltlich?" werden meine Kollegen einwenden - der Mann sei doch fern von jedem Inhalt. Wir nennen Trump einen Repräsentanten des "postfaktischen Zeitalters". Doch halten wir uns lange mit Fakten auf? Viel bequemer ist es doch, empörte Kommentare zu schreiben und dabei den Applaus der Kollegen sicher zu wissen. Wir haben es uns in unserer Meinungsblase gemütlich gemacht, klopfen einander auf die Schulter, fühlen uns super in unserer moralischen Überlegenheit.
Von hier aus wachen wir über die Werte, sorgen für eine absolut politisch korrekte Sprache. Wir spitzen die Ohren, halten die Augen auf und stürzen uns auf jede Aussage, die auch nur ansatzweise und mit viel Interpretationskunst nach Diskriminierung einer Minderheit riecht. Dann werfen wir einen Blick in unseren Waffenschrank der politischen Korrektheit und holen bei Bedarf schnell die passende Totschlag-Keule heraus: Homophobie, Islamophobie, Sexismus oder Populismus. Die Auswahl ist groß.
Das Volk vor der Wahrheit schützen
Wir empören uns öfter, als wir berichten. Und wenn wir mal berichten, dann tun wir das sehr behutsam. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", prägte den Begriff "betreute Berichterstattung": Zum Beispiel beklagte sich der Kriminologe Christian Pfeiffer im Januar 2016, dass er von einem Fernsehredakteur angewiesen wurde, im Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen gegen Frauen in der Kölner Silvesternacht nicht von Flüchtlingen zu sprechen. Eine solche Einschätzung könnte ja die Willkommenskultur vergiften. Das Volk wartet schließlich nur darauf, um von Populisten verführt zu werden. Durch solche vermeintliche Fürsorge verlieren wir Medienmacher das Vertrauen der Menschen und spielen genau den Populisten in die Hände, die wir eigentlich bekämpfen wollen.
Apropos Populisten: Wir machen es uns zu einfach, wenn wir jeden Politiker, der eine Begrenzung der Zuwanderung will, einen Populisten nennen. "Vielleicht sind ja die sogenannten Populisten in mancherlei Hinsicht die größeren Realisten", schrieb "Handelsblatt"-Herausgeber Gabor Steingart nach der US-Wahl in einem nachdenklichen Ton. Damit zählt er eher zu den Ausnahmen in meiner Zunft. Die meisten halten den Schock anscheinend nur aus, indem sie den gewählten Präsidenten der USA weiterhin als einen durchgeknallten Macho, Möchtegern-Mussolini oder Horror-Clown beschimpfen und seine Anhänger als alt, ungebildet und abgehängt diffamieren. Die Wahlanalysen zeigen, dass das so nicht stimmt.
Raus aus der Meinungsblase
Ebenso die Mär, dass die AfD-Wähler vor allem Arbeitslose, Arbeiter und Hinterwäldler seien. Die AfD ist eine Partei der Besserverdiener und Gebildeten, geht aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln vom April 2016 hervor.
Warum das so ist und ob die Sorgen dieser Bürger berechtigt sind, damit müssen wir uns endlich beschäftigen. Wenn wir uns weigern, unsere elitäre Blase zu verlassen, heißt es womöglich am Tag nach der Bundestagswahl 2017: "Zum triumphalen Sieg der AfD haben auch die Medien beigetragen."
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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