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Achille Mbembe im DW-Interview

Gero Schließ23. Mai 2016

Achille Mbembe gilt als Vordenker des Postkolonialismus. Im Interview mit der DW kritisiert er den eurozentristischen Blick auf die Welt. Der Historiker fordert, jede Ordnung müsse sich laufend selbst in Frage stellen.

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Achille Mbembe spricht in Berlin über eine neue WeltordnungBild: U. Langkafel

DW: Das deutsche Wort für "order" ist Ordnung. Aber gemeint sein kann auch Disziplin, Regeln, Organisation, Anordnung oder System. Ist das auch Ihr Konzept von Ordnung?

Achille Mbembe: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass Ordnung all das umfassen muss, alle diese deutschen Attribute. Aber Ordnung setzt auch voraus, dass die Leute wirklich daran glauben und dass sie sich gleichzeitig fortlaufend in Frage stellt. Wenn es darüber keinen Konsens gibt, dann löst sie sich sehr schnell auf. Nur so werden Verbesserungen möglich, ohne dass es zu Gewalt und Anarchie kommt.

Sie diskutieren hier bei den "Berliner Korrespondenzen" die Idee einer neuen Welt, die verschiedene Ordnungen akzeptiert. Ordnungen, die durchaus miteinander konkurrieren. In Deutschland sehen das insbesondere die rechtsnationalen Kräfte wie die Alternative für Deutschland (AfD) kritisch. Sie sagen, wir sollten uns erst über unsere eigene Ordnung, unsere eigenen Werte einigen, bevor überhaupt daran zu denken sei, dass wir andere Ordnungen akzeptieren können. Wie sehen Sie diese deutsche Diskussion?

Deutschland "Berliner Korrespondenzen"
Achille Mbembe diskutiert bei der neuen Debattenreihe "Berliner Korrespondenzen"Bild: DW/G. Schließ

Die Herausforderung ist, dass wir mit immer mehr Menschen zusammenleben werden, die nicht wie wir aussehen. Die Welt, in der wir unter uns waren, gibt es nicht mehr. Und sie wird nicht zurückkehren. Die Welt, die jetzt kommt, ist komplizierter, komplexer und voll von gegenseitigen Verwicklungen. Es geht jetzt darum, dass wir unsere Gesellschaften neu organisieren, um damit zurechtzukommen. Jede andere Diskussion ist nostalgisch.

Wie beurteilen Sie den Diskurs über die eigenen Werte, der jetzt überall, auch in Deutschland, losgegangen ist?

Ich glaube, dass die Zukunft der Welt uns allen enorme Kapazitäten abfordert, die Koexistenz mit jenen auszuhandeln, mit denen wir nicht übereinstimmen. Die Wiedererrichtung von Grenzen wird uns da in keiner Weise helfen.

Die Europäer müssen künftig wohl von ihrem eurozentristischen Blick auf die Welt ablassen und etwas abgeben…

Ja, denn Europa ist nicht alleine auf der Welt.

Aber was ist mit den Menschen aus Ihrem Kulturkreis, mit den Afrikanern? Was müssen sie in diesem Diskurs künftig abgeben?

Deutschland "Berliner Korrespondenzen" - Außenminister Steinmeier
Achille Mbembe mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und anderen Teilnehmern der "Berliner Korrespondenzen"Bild: DW/G. Schließ

Oh, ich denke, Sie müssen sich von der Idee verabschieden, dass es typische afrikanische Werte gibt. Ich glaube es gibt grundlegende menschliche Werte wie Anstand, Fairness, Freiheit, das Recht zu leben. Diese Bestrebungen sind fundamental menschlich. Die Art, wie sie sich ausdrücken, variiert abhängig von den örtlichen kulturellen Traditionen. Wir müssen diese menschlichen Bestrebungen in einen neuen Kontext setzten, nämlich dass unser Leben immer stärker mit dem Schicksal des anderen verknüpft ist.

Sie sprachen von afrikanischen Werten. Was wäre denn für Sie so ein typischer afrikanischer Wert?

Ich bin mir nicht sicher, ob es den Ausdruck "afrikanische Werte" wirklich gibt. Ich selber bin in meinem Leben viel herumgezogen und habe durch meine Begegnungen mit anderen viel gelernt. Für mich ist es der fundamentalste Wert, mobil zu sein und von anderen zu lernen. Wenn Sie so wollen, ist das ein typischer afrikanischer Wert. Historisch ist es so, dass die Afrikaner durch eben diese Mobilität ihre Kultur gegründet haben. Nicht durch das Klammern an alten Traditionen, wie es oft gesagt wird. Ich würde mich also konzentrieren auf diese Tradition von Offenheit und Begegnung.

Aber das ist ja etwas, das Sie nicht abgeben wollen, sondern wovon die anderen lernen könnten.

Genau, denn die Welt wird immer kleiner und kleiner. Und immer mehr Menschen müssen sie mit allen anderen teilen.

Der Kameruner Achille Mbembe ist einer der namhaftetsten afrikanischen Historiker. Er zählt mit seinen Veröffentlichungen zu afrikanischer Geschichte und Politik zu den Vordenkern des Postkolonilalismus. Sein Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" hat eine neue Debatte über die Zusammenhänge von Kapitalismus, Rasse und Globalisierung ausgelöst. Nach Berlin kam er jetzt, um bei der neuen Debattenreihe "Berliner Korrespondenzen" über die Weltordnung der Zukunft zu diskutieren.

Das Interview führte Gero Schließ.