Brexit-Rede sorgt für wenig Begeisterung
17. Januar 2017Fast sieben Monate sind vergangen, seitdem eine knappe Mehrheit der britischen Wähler sich für den Austritt Großbritanniens aus der EU, also den Brexit, gestimmt hat. Außer einem vagen "Brexit heißt Brexit" von Premierministerin Theresa May, blieb lange Zeit unklar, wie genau sich die britische Regierung einen Austritt vorstellt - bis jetzt.
Nun gab die konservative Premierministerin, die nach dem Rücktritt ihres Vorgängers David Cameron und dem Brexit-Votum an die Macht kam, in London die Position ihrer Regierung bekannt: Großbritannien wolle nicht nur aus der EU, sondern auch aus dem europäischen Binnenmarkt und auch aus dem Europäischen Gerichtshof austreten. Stattdessen werde man einen umfassenden Freihandelsvertrag mit der EU aushandeln. Im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus wolle man weiterhin kooperieren. Allerdings werde, das betonte May mehrfach, Großbritannien nach dem Brexit die Einwanderung aus Europa in das Land kontrollieren können - ein Thema, das die Debatte im Vorfeld des Brexit-Votums bestimmt hatte.
Mays Ziel: Der "beste Freund und Nachbar" der europäischen Partner zu bleiben, ohne aber Teil der EU zu sein. Und: Großbritannien könne nun eine "große, globale Handelsnation" werden.
Steinmeier: Verhandlungen beginnen erst nach Austrittswunsch
Theresa Mays Rede zum Brexit in Kurzform? "Wir werden, was uns mit Europa nicht gefallen hat, mit der Welt erreichen. Wie? Keine Ahnung, aber trust me", kommentiert der deutsche Fernsehmoderator Christian Sievers lakonisch über Twitter.
Diplomatischere Töne kamen nach der Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er begrüßte, dass May die Arbeit ihrer Regierung skizziert habe und "endlich ein wenig mehr Klarheit über die britische Pläne geschaffen hat."
Es sei gut, dass Großbritannien eine positive und konstruktive Partnerschaft, eine Freundschaft, mit einer starken EU anstrebe. Auch die Bundesregierung wolle "möglichst gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen". Allerdings bleibe die Linie: "Die Verhandlungen beginnen erst, wenn Großbritannien seinen Austrittswunsch auch offiziell mitgeteilt hat."
Der SPD-Politiker verwies außerdem darauf, dass am Donnerstag im Kabinett in Berlin die deutsche Haltung zu den anstehenden Brexit-Verhandlungen abgestimmt wird. Diese werden wohl im Ende März beginnen, wenn May offiziell den Austritt ihres Landes erklärt. Laut EU Verträgen sind die Verhandlungen auf zwei Jahre angelegt. So lange bleibt Großbritannien offiziell EU-Mitglied.
Röttgen: Sollten vernünftiger sein als die Briten
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), riet derweil der EU und der Bundesregierung von konfrontativen Brexit-Verhandlungen ab. "Wir Europäer sollten klar sagen, dass eine enge Partnerschaft zu Großbritannien in unserem Interesse liegt. Wir sollten nicht unsererseits die Rolle des Beleidigten annehmen und den Briten aus taktischen Gründen Anforderungen stellen, die sie nicht erfüllen können", so der CDU-Politiker in einem Zeitungsinterview. Weiter meinte er: "Wir sollten vernünftiger sein als die Briten."
Der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Stübgen, erklärte, dass es in den Verhandlungen weder um eine "Bestrafung" Großbritanniens gehen werde, noch könne die EU "Rosinenpickerei" hinnehmen.
Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Parlamentspräsident der EU, Alexander Graf Lambsdorff: Es werde für Großbritannien keinen Rabatt oder eine bevorzugte Behandlung geben. "Fairness muss garantiert werden, aber nicht zu Lasten von aktuellen EU-Mitgliedsstaaten."
Wirtschaft: Mit dem Brexit weniger Investitionen
Harsche Kritik an Mays Rede kam von Gregor Gysi, dem Vorsitzenden der Europäischen Linken und ehemaligen Chef der Bundestagsfraktion der Linken: May habe ins gleiche Horn geblasen wie der künftige US-Präsident: "Auf Trumps Botschaft 'America first' antwortet Theresa May jetzt mit 'Britain first'. Dieser aufgewärmte Nationalismus wird aber den nostalgischen Traum von der Wiederauferstehung des kolonialen Weltreichs, den einige Britinnen und Briten vielleicht noch hegen, nicht wahr werden lassen", so Gysi auf Facebook.
Die Briten müssten sich darauf einstellen, "sehr enttäuscht" zu werden, so Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Seiner Auffassung nach habe Theresa May mit ihrer Ankündigung eines "harten Brexit" - also dem vollständigen Austritt aus der EU und ihrem Binnenmarkt- eine wirtschaftliche Talfahrt in Gang gesetzt.
Ähnlich äußerte sich Volker Treier, Außenwirtschaftschef vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK): Ein harter Brexit beschränke die Wachstumschancen auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Allerdings seien die Einbußen für Großbritannien stärker: Deutsche Unternehmen planten nach erfolgtem Brexit ihre Investitionen auf der Insel zu reduzieren. Denn: Mit dem Brexit "sinkt die wirtschaftliche Attraktivität der Insel."
Laut DIHK beschäftigen deutsche Unternehmen in Großbritannien rund 400.000 Menschen.