Massaker an Sektenmitgliedern in Angola?
28. April 2015Seit fast zwei Wochen hält der Fall Angola in Atem. Immer wieder gibt es neue Vorwürfe, neue Opferzahlen, neue Gerüchte. Zuerst flüsterten Menschenrechtler hinter vorgehaltener Hand von hunderten Toten, nun spricht die größte Oppositionspartei des Landes (UNITA) offen von 1080 Menschen, die von der Polizei getötet worden sein sollen.
Als relativ gesichert gilt bisher: Am 16. April verhafteten angolanische Polizisten in São Pedro Sumé im Zentrum des Landes José Julino Kalupeteka, den Führer der christlich-evangelikalen Freikirche "A Luz do Mundo" ("Licht der Welt"). Kalupeteka hielt sich in einem abgelegenen Camp der Freikirche in der Provinz Huambo auf. Bei der Festnahme kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und den Mitgliedern der Sekte. Nach Angaben der Behörden sind dabei neun Polizisten getötet worden.
Opposition: Mehr als 1000 Tote
Über alle weiteren Ereignisse am 16. April gehen die Angaben dagegen weit auseinander. Während die staatlichen Stellen von 13 beziehungsweise 20 getöteten Zivilisten sprechen, geht die Opposition von über 1000 Toten aus.
"Sie haben Hunderte getötet. Sie haben ohne Rücksicht auf unbewaffnete Menschen geschossen", sagte Raúl Danda, Abgeordneter der UNITA, nachdem er auf einer dreitägigen Reise in die Region mit der Bevölkerung und Polizisten, die an der Operation teilgenommen haben, sprechen konnte. Den Ort des Massakers selbst konnte die Parlamentariergruppe nicht in Augenschein nehmen, da ihr von Sicherheitskräften der Zugang verwehrt wurde.
"Wir haben Hinweise, dass viele Menschen durch Machetenhiebe getötet wurden. Es gab Menschen, die unter ihren Betten herausgezogen und umgebracht wurden", sagte Raúl Danda im Interview mit der DW. Bei so einer Aktion müsse es eigentlich nicht nur Tote, sondern auch Verletzte gegeben haben, vermutet er: "Doch im Krankenhaus sind keine Verletzten eingetroffen. Die Menschen wurden schlichtweg einfach ausgelöscht."
Bewaffnet oder unbewaffnet?
Das Gefecht mit den Anhängern von Kalupeteka sei ein Massaker gewesen, so der Vorwurf der UNITA. Sie zieht auch die Angaben der Regierung über die Zahl der toten Polizisten in Zweifel: "Die Regierung sagt, es seien nur neun Polizisten umgekommen. Wir haben aber Informationen, dass es viel mehr gewesen sein könnten", sagte Danda. Er hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Gewalt in erster Linie von den Sicherheitskräften ausgegangen sei: "Der Polizeikommandant sagt, dass es drei Stunden intensives Feuergefecht gegeben habe. Wir wissen aber, dass die Männer von Kalupeteka keine Waffen besessen haben. Also kann eigentlich nur die schnelle Eingreiftruppe der Polizei drei Stunden lang gefeuert haben", folgert Danda.
Dagegen sagt die angolanische Polizei in einer Pressemitteilung, dass die Sektenmitglieder bewaffnet gewesen wären und sich der Festnahme ihres Anführers widersetzt hätten. In der Zwischenzeit habe es einen weiteren Vorfall gegeben: So hätten Mitglieder der Sekte in Catabola, ebenfalls in der Provinz Huambo, am 20. April eine Polizeistation mit Macheten angegriffen. Die Polizisten hätten sich aber in Sicherheit bringen und die Situation unter Kontrolle bringen können.
Schwieriges Verhältnis zwischen Regierung und Freikirchen
In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Kritik an der Politik der angolanischen Regierung evangelikalen Freikirchen und islamischen Religionsgruppen gegenüber gegeben. So kritisiert das US-Außenministerium in seinem jährlichen Bericht über die weltweite Religionsfreiheit, dass es für kleine Kirchen in Angola praktisch unmöglich sei, sich zu legalisieren, da sie dafür mindestens 100.000 Mitglieder nachweisen müssten.
Neben der römisch-katholischen Kirche, der etwa die Hälfte der Angolaner angehört, gibt es noch weitere 82 offiziell anerkannte Religionsgruppen in dem südafrikanischen Land. Daneben sind nach Schätzungen des US-Außenministeriums noch 2000 nicht registrierte religiöse Gruppen in Angola aktiv.
Auch die Freikirche "A Luz do Mundo" war nicht offiziell registriert. Sie gehört zu den adventistischen Strömungen christlich-evangelikaler Kirchen und rechnete mit der baldigen Ankunft Jesus Christus auf der Erde. Ihre Mitglieder sollen teilweise abgeschieden in Camps ein Leben geführt haben.
Zahlreiche nicht registrierte Religionsgemeinschaften mussten in der Vergangenheit damit rechnen, dass die von ihnen für Gottesdienste genutzten Gebäude abgesperrt oder abgerissen werden. Doch zu Gewaltausbrüchen, wie nun in der Provinz Huambo, war es bisher nie gekommen.
Kein Zugang zum verhafteten Sektenführer
Anwalt David Mendes - er gehört mit seiner Menschenrechtsorganisation Mãos Livres zu den bekanntesten Vertretern der angolanischen Zivilgesellschaft - glaubt ebenfalls nicht, dass die offiziellen Angaben zu Opfern und Tathergang der Wahrheit entsprechen. Ansonsten wäre der Zugang zum Tatort freigegeben worden, sagt er: "Wenn es wirklich nur 13 Tote wären, dann hätten sie doch erlaubt, dass die Menschen dort hingehen und sich ein Bild machen können."
Bisher wurde Mendes als Anwalt der Zugang zu Kalupeteka sowie zu anderen verhafteten Mitgliedern der Sekte verweigert. Daher will sich Mendes bei der Staatsanwaltschaft beschweren, kündigte er gegenüber der DW an. Er fordert außerdem eine offene Untersuchung der Vorfälle: "Nun kommt es darauf an, das ganze Land zu informieren und den Menschen die Wahrheit zu erzählen."
Mitarbeit: Nelson Sul d'Angola (Benguela), Pedro Borralho Ndomba (Luanda), Nádia Issufo (Bonn)