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Marx - Wie aktuell ist seine Kritik heute?

Das Interview führte Nikolas Fischer14. März 2013

Vor 130 Jahren ist Karl Marx gestorben. Durch Finanzkrise und Globalisierung gewinnen auch seine Ideen wieder an Aktualität. Ein Gespräch mit dem Philosophen Andreas Arndt über die Bedeutung der Marxschen Theorie.

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Karl-Marx-Denkmal in Moskau (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance / akg-images

DW: Bis vor wenigen Jahren hätte man vermutet, die marxistische Idee sei tot. Doch tatsächlich erscheint seine Kritik an wirtschaftlicher Ausbeutung und Ungerechtigkeit im Zuge der Finanzkrise aktueller denn je. Was können wir heute noch von Karl Marx lernen?

Andreas Arndt: Die Aktualität von Marx besteht nicht darin – wie man lange Zeit geglaubt hat – dass er ein Rezeptbuch liefert, wie man die Gesellschaft verändern kann. Sondern es ist eine Methode, eine kritische Analyse. Marx analysiert nicht irgendwelche betriebswirtschaftlichen Teilbereiche, er untersucht eine sich von Anfang an global etablierende Produktionsweise. Er blickt über den Tellerrand hinaus und bekommt dadurch eben Zusammenhänge in den Blick, die gewöhnlich so nicht gesehen werden. Ein großes Projekt bei Marx ist die Beantwortung der Frage "Wie stabilisiert sich das System? Kann es sich überhaupt stabilisieren?" Und er kommt zum Schluss, dass es auf Dauer so, wie es ist, nicht funktionieren kann. Und das, was wir auf den Finanzmärkten beobachten, ist sicherlich ein Teil dieser von Marx beobachteten Entwicklung. Was er gesehen hat, ist, dass der Kapitalbedarf immer weiter steigt: Es muss immer mehr Kapital zur Verfügung stehen, um Ungleichgewichte zwischen den Produktionssektoren auszugleichen – um überhaupt das Ganze am Laufen zu halten. Dieses Kapital wird aber eben nicht produktiv investiert, sondern zu großen Teilen spekulativ angelegt.

Die Stärke von Marx ist die wissenschaftliche Analyse. Aber ist er der reine Analytiker? Welche Rolle spielt die Moral?

Das Moralische spielt bei ihm insofern eine Rolle, dass er nach den Bedingungen der Realisierung von Freiheit fragt. Ich denke, dass er in dieser Hinsicht Hegels Konzeption einer Freiheitsgeschichte übernimmt. Er will, dass die Menschen in ihnen adäquaten Bedingungen leben und arbeiten können – ohne in Abhängigkeitsverhältnissen zu stehen. Das ist nicht orientiert an einem individuellen Moralverständnis, sondern eher an einem Begriff, für den Hegel – Marx' Lehrer – den Begriff "sittliches Gemeinwesen" verwendet hat.

Philosoph Prof. Dr. Andreas Arndt (Foto: privat)
Professor Dr. Andreas Arndt: "Viele halten Marx für einen Produktivitäts-Fetischisten"Bild: Privat

Marx hat seine Theorien als ein Kind seiner Zeit geschrieben. Billig produzierte T-Shirts in Entwicklungsländern gab es damals noch nicht ...

In seinem Kommunistischen Manifest hat Marx zusammen mit Friedrich Engels die Tendenzen zur Globalisierung ja bereits beschrieben. Und er hat an vielen Einzelstudien aufgezeigt, dass das Kapital dorthin geht, wo die billigste Arbeitskraft zu finden ist – und dass versucht wird, das Lohnniveau immer weiter zu drücken. Das Outsourcing in Billiglohnländer kann man mit Marx also gut begreifen.

Viele halten Marx für einen Produktivitäts-Fetischisten. Ihm ging es aber nicht nur um Produktivität. Die ständige Produktivitätssteigerung hat Folgen für die endlichen Ressourcen, diesen Zusammenhang hat Marx sehr klar gesehen. Insofern hat er auch aus der ökologischen Perspektive einiges zur Diskussion beizutragen.

Marx ist zusammen mit Engels einer der einflussreichsten Theoretiker des Sozialismus und des Kommunismus. Wie viel hat das, was aus seinen Theorien in der Praxis (zum Beispiel von Stalin) gemacht wurde, mit dem zu tun, was er selbst wollte?

Das ist eine schwierige Frage, weil man natürlich auch nicht sagen kann, dass es gar nichts damit zu tun hat. Manches sind in der Tat falsche Übernahmen, die bei Marx in einem ganz anderen Kontext vorkommen. Ich würde sagen, das große Defizit der Marxschen Theorie ist, dass er keine Theorie der Politik und des Staates hinterlassen hat. Das kann man ihm aber nicht anlasten, denn die war geplant – aber dazu ist er einfach nicht mehr gekommen. Dort wäre dann wohl auch die wichtige Frage des Rechtsverständnisses ausführlich geklärt worden. Schaut man sich seine Schriften genauer an, wird man feststellen, dass er Rechtsfragen durchaus thematisiert – nur eben nicht im systematischen Zusammenhang. Bei vielen hat sich die These verfestigt, Marx sei ein Rechts-Nihilist gewesen. Das ist sicher ein Punkt, wo dann auch der Stalinismus eingehakt hat.

Prof. Andreas Arndt unterrichtet am Lehrstuhl für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Vorstandsvorsitzender der Internationalen Hegel-Gesellschaft und arbeitet bei der Schleiermacher-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.