Schulz: Die A-Frage und die K-Frage
18. November 2016Nach der Wahl von Donald Trump hat Martin Schulz plötzlich wie ein richtiger Diplomat reagiert. "Beide Seiten sollten nun auf Null schalten und sich eine Chance geben", forderte der Präsident des Europaparlaments unerwartet. "Trump verdient den Respekt, der sich mit dem Amt verbindet." Dabei hatte Schulz - sonst immer ein Anhänger klarer Worte - zuvor wie viele andere vor dem Immobilienmogul gewarnt, und ihn einen verantwortungslosen Mann genannt, der nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt ein Problem sei. Aber das war eben vor der Wahl. Nach der Wahl müsse man miteinander reden.
Maßgeschneidertes Amt?
Vereinzelt wird Martin Schulz in Berlin schon als der kommende Mann im Auswärtigen Amt begrüßt. Zum Beispiel wenn er in Brüsseler Runden bereits als prima geeignet und erfahren bezeichnet wird. Oder wenn jetzt die Grüne Franziska Brantner im Bundestag direkt auf Schulz anzuspielen scheint, wenn sie einen Steinmeier-Nachfolger fordert, der Europa einen könne. Es komme nur jemand infrage, der imstande sei, "eine gemeinsame europäische Haltung zu organisieren", vor allem zu Menschenrechten und internationalem Recht.
Koalitionen schmieden, das mag tatsächlich die größte Stärke von Martin Schulz sein. Und sein Fraktionskollege Jo Leinen lobt schon in der "Zeit": "Schulz wäre ein hervorragender Repräsentant deutscher Außenpolitik", und Sigmar Gabriel könnte ihn im Wahlkampf gut gebrauchen. Schießen hier Spekulationen ins Kraut, nur weil eben ein Nachfolger für Frank-Walter Steinmeier her muss und es den deutschen Sozialdemokraten an international profilierten Außenpolitikern fehlt?
Will Schulz überhaupt nach Berlin?
"Der Drops ist noch nicht gelutscht", sagt der sozialdemokratische Abgeordnete Knut Fleckenstein in Brüssel auf diese Frage. Der erste und größte Wunsch von Martin Schulz sei jedenfalls, als Parlamentspräsident in Brüssel weiterzumachen. Und der EU-Parlamentarier hält die Verabredung zwischen den Parteifamilien der Christ- und der Sozialdemokraten, wonach in der Mitte dieser Wahlperiode ein Wechsel an der Spitze des EP stattfinden müsse, keinesfalls für in Stein gemeißelt.
Was dagegen spreche, sei eben das bekannte Argument, dass dann drei Vertreter der konservativen EVP die europäischen Institutionen leiten würden. Und damit würde eine potenziell explosive Lage entstehen. Denn viele Entscheidungen im Europaparlament werden in einer Art informeller Koalition zwischen den beiden großen Gruppierungen getroffen. Damit konnte Schulz unter anderem verhindern, dass Rechtspopulisten und Europa-Feinde die Volksvertretung spalten oder lähmen.
Nur Schulz aber könne die politisch bunte Truppe der Sozialdemokraten im Zaum halten, und damit auch künftig das demokratische Funktionieren des Parlaments garantieren, sagt Fleckenstein. Wenn jedoch die Christdemokraten nun alle Spitzenjobs an sich ziehen wollten, könnten sie sich auch nicht mehr auf die eingespielte Kooperation mit den Sozialdemokraten verlassen. Das möge bei den deutschen Abgeordneten noch funktionieren, aber bei den übrigen EU-Ländern garantiert nicht mehr: "Es soll sich keiner einbilden bei der EVP, dass es nur 'burden-sharing' (Lastenteilung) bei den Abstimmungen gibt", aber keine faire Ämterteilung. "Plan A heißt weiter, dass Schulz in Brüssel bleibt", versichert der sozialdemokratische Abgeordnete. Alles andere sei journalistische Phantasie.
Hat Schulz schon immer Neben-Außenpolitik betrieben?
Abgesehen aber von der Koalitionsarithmetik in Brüssel: Im Grunde war Schulz schon immer ein Außenpolitiker auf der Wartebank. Mehr als je einer seiner Vorgänger hat er das Amt des Parlamentspräsidenten weit ausgelegt und sich auch zu Krisen außerhalb der EU geäußert. Früher engagierte er sich für die Rückkehr Kubas in die Staatengemeinschaft, längst fordert Schulz etwa Präsident Putin zur Zusammenarbeit in Syrien auf oder setzt sich für das Iran-Atomabkommen ein. Er spricht über Flüchtlingsabkommen mit Ägypten und anderen afrikanischen Staaten und er sagte schon früh Präsident Erdogan die Meinung, als es noch um den Flüchtlingsdeal mit der Türkei ging.
Seitdem hat Schulz, wie viele der Abgeordneten im EP, die Abkehr von der Demokratie in der Türkei stark kritisiert. Inzwischen gibt es eine Mehrheit dafür, wegen der anhaltenden Verstöße gegen demokratische Normen die Beitrittsgespräche mit Ankara abzubrechen. In der nächsten Woche will das Parlament die Frage diskutieren und darüber abstimmen. Aber auch hier äußert sich Schulz plötzlich verdächtig diplomatisch: "Sprachlosigkeit hat noch nie weiter geführt, sondern birgt eher die Gefahr weiterer Eskalation in sich", sagte der SPD-Politiker in einem Interview. Mit einem Ende der Gespräche mit der Türkei wäre nichts gewonnen: "Im Gegenteil, wir würden uns eines wichtigen Mittels berauben, um Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung in der Türkei und die Dinge vielleicht zum Besseren zu wenden."
Spricht so der Parlamentspräsident Schulz oder der mögliche Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier, der selbst gerade in dieser Woche einen unerfreulichen Besuch in der Türkei absolvierte und stets auch da noch das Gespräch sucht, wo andere längst aufgegeben haben? Spätestens Ende Dezember wird man die Antwort kennen. Und wenn die A-Frage beantwortet ist, wird sich die K-Frage daraus ergeben.