Marcell Jacobs, Italiens Usain Bolt
1. August 2021Auf Instagram nennt sich der neue König der Sprinter immer noch „Crazylongjumper", den verrückten Weitspringer. Und lange hatte es wirklich danach ausgesehen, als würde Lamont Marcell Jacobs eher im Weitsprung Schlagzeilen schreiben als im prestigeträchtigen Sprint über 100 Meter. Schließlich sprang der Italiener 2015 als 21-Jähriger erstmals über die magische Marke von acht Metern, ein Jahr später gelang ihm sogar - wenn auch windunterstützt und deshalb nicht in den Rekordlisten - ein Satz über 8,48 Meter.
Zu jener Zeit lag Jacobs Bestmarke über 100 Meter knapp unter elf Sekunden und damit weit jenseits der Dimensionen, in denen er um olympische Medaillen hätte mitlaufen können. In Tokio sprintete er nach 9,80 Sekunden über den Zielstrich und trat in die Fußstapfen des legendären Jamaikaners Usain Bolt, der dreimal in Serie Olympiasieger über die kurze Sprintstrecke geworden und 2017 zurückgetreten war.
"100 Prozent italienisch"
Jacobs wurde 1994 als Sohn einer Italienerin und eines amerikanischen Soldaten in El Paso im US-Bundesstaat Texas geboren. Nach der Trennung seiner Eltern kehrte die Mutter nach Italien zurück. Jacobs wuchs in Desenzano del Garda auf, am Südende des Gardasees. "Nur meine Muskelfasern sind amerikanisch, ich fühle mich zu 100 Prozent italienisch", sagt Jacobs.
Als Jugendlicher versuchte er sich im Schwimmen, Basketball und Fußball. Weil er zwar schnell, aber selten am Ball war, fragte ihn ein entnervter Fußballtrainer eines Tages: "Warum versuchst du es nicht mal mit Leichtathletik?" Als 16-Jähriger wechselte Jacobs tatsächlich zu den Läufern und Springern. Als ihn 2017 eine Knieverletzung zu einer langen Pause zwang, beschloss der 1,88 Meter große und 79 Kilogramm schwere Leichtathlet, auf das Weitspringen zu verzichten und sich voll auf den Sprint zu konzentrieren.
Ungewöhnliche Leistungssteigerung
Bei der WM 2019 in Doha schaffte es der Italiener mit einer Zeit von 10,07 immerhin ins Halbfinale, verpasste dann aber den Sprung in den Endlauf. Im März 2021 feierte Jacobs in Torun in Polen seinen ersten großen internationalen Erfolg, als er in neuer italienischer Rekordzeit Halleneuropameister über 60 Meter wurde. Er sei "regelrecht geschockt" über die Zeit, sagte Jacobs, der ein Tiger-Tatoo auf dem Rücken trägt: "Ich bin stark und kämpferisch, aber auch einsam, genau wie der Tiger." Seine ungewöhnliche große Leistungssteigerung im Vergleich zum Vorjahr erklärte der Vater dreier Kinder damit, dass er seit Herbst 2020 mit einer Mentaltrainerin zusammenarbeite.
Beim Leichtathletik-Meeting im vergangenen Mai in Savona in Norditalien blieb Jacobs mit seiner Siegerzeit von 9,95 Sekunden erstmals unter der Marke von zehn Sekunden. Im Halbfinale von Tokio war Marcell Jacobs noch eine Hundertsel-Sekunden schneller, im Finale steigerte er sich um weitere 14 Hundertsel-Sekunde. Gold! "Geträumt habe ich schon davon", sagte Jacobs im ZDF, "aber nicht geglaubt, dass es so kommt. Unglaublich!" Wie lange wird es wohl dauern, bis der 26-Jährige seinen Instagram-Namen ändert?