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MusikEuropa

"'Russian Woman‘ ist ein Manifest"

Andreas Brenner
18. Mai 2021

Die aus Tadschikistan stammende Sängerin tritt für Russland beim ESC an. Im DW-Interview spricht sie über ihren Werdegang und ihre Karriere als Migrantin.

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Manizha in einem übergroßen bunten Bühnen-Kostüm, in dem sie zu versinken droht und ihr Kopf klein hinausschaut
Symbolträchtiger Auftritt: Manizha in ihrem Bühnen-SarafanBild: Th.Hanses/EBU

Rotterdam, der Standort des Eurovision Song Contest 2021, ist erstaunlich leer: kaum Menschen, keine Partys, nur wenige Journalisten. Die meisten von ihnen führen ihre Interviews per Zoom.

Andreas Brenner von der Redaktion DW-Russisch berichtet seit Jahren über den ESC.  Er hat mit der russischen ESC-Kandidatin Manizha gesprochen, die in Zeiten von Corona bei diesem Wettbewerb in einem ganze besonderen Jahr antritt.

DW: Manizha, du hast schon immer davon geträumt, beim ESC zu singen. Nun klappt es, aber in einer eher unfestlichen Atmosphäre - ohne Publikum. Bist du ein bisschen enttäuscht?

Manizha: Nein, das hilft mir bei meiner Vorbereitung auf den Auftritt. Das einzige, was mir fehlt, ist das Publikum. Sonst ist es eher positiv, dass wir das Hotel nur zum Proben, Einkaufen oder zum Joggen verlassen.

Manizha in einem roten Hemd und einem gelben Kopftuch auf der Bühne mit Mikro.
Manizha tritt für Russland beim ESC in Rotterdam aufBild: Th.Hanses/EBU

Auf die Bühne trittst du in einer besonderen Konstruktion, die an eine Art überdimensionale russische Volkstracht, den Sarafan, erinnert (siehe Titelbild, Anm. d. Red.). Wenn du ihn ablegst, wirkt es, als würdest du damit aus dem engen Korsett der Vorurteile und der archaischen Frauenbilder aussteigen. Deute ich das richtig?

So ist es! Allerdings kommt die Idee nicht von mir, sondern von meinem Regisseur Lado Kwatanija. Ich habe eben Glück mit meinem Team.

Du singst Russisch und Englisch. Warum kein Tadschikisch? Meinst du, der Eurovision Song Contest ist einem Gesang auf Tadschikisch noch nicht gewachsen?

Der Song ist in zwei Sprachen entstanden - Russisch und Englisch. Ich hatte nicht vor, Tadschikisch hinzuzufügen. Alles muss natürlich sein.

Der ESC ist traditionell sehr beliebt bei der LGBT-Gemeinde. In den letzten Jahren ist allerdings auch eine deutliche Entwicklung hin zu feministischen Themen erkennbar. Dein Song "Russian Woman" gehört dazu, genauso wie die Beiträge aus Malta und Lettland. 

Manizha blickt in die Kamera
Manizha hat sich an die Spitze gekämpftBild: Screenshot/ZOOM-Interview/DW

Eurovision war schon immer ein "Lackmuspapier" für die Probleme und Bedürfnisse der Gesellschaft. "Russian Woman" ist ein Manifest. Der Song ist allerdings bereits vor einem Jahr entstanden - lange vor meiner Nominierung für den ESC. Und es ist vor allem ein Monolog: ein Monolog der Manizha darüber, was sie durchgemacht hat. Und die Ironie, die es in dieser Musik gibt, ist ein Beweis dafür, dass man alles überstehen kann und stärker wird. Ich hasse das Wort "Propaganda", aber wenn Sie so wollen: Ich mache Propaganda für die Liebe. Und es geht nicht nur um russische Frauen, sondern um alle Frauen Europas.

Tadschiken und Tadschikinnen sind für die meisten Russen ein Sinnbild für Arbeitsmigration. Du bist dagegen eine international erfolgreiche junge Künstlerin. Du hast in New York, in London studiert - kein billiges Vergnügen. Wer hat dich unterstützt?

Mich hat von Anfang an meine Familie unterstützt. Es gab Zeiten, da haben wir in großer Armut gelebt. Nach der Flucht kamen wir in Moskau praktisch nur mit dem an, was wir am Leib trugen, oder sogar weniger. Wir hatten eigentlich gar nichts. Wir waren ja fünf Kinder. Meine Mutter musste den Alltag alleine bewältigen, sie schlug sich mit allen möglichen Jobs durch - ob als Putzfrau oder Verkäuferin. Meine Großmutter überwies uns Geld von ihrer Rente.

 Manizha singt ins Mikrofon
Manizha bringt feministische Themen in ihrer Musik unterBild: Valery Sharifulin/TASS/dpa/picture alliance

Es gab nur zwei unverzichtbare Dinge: Nahrung und Bildung. Alles, was ich heute kann, habe ich meiner Familie zu verdanken - und dem Zugang zu Bildung, den ich durch sie hatte. Um Russisch und andere Fremdsprachen zu erlernen, musste ich wohl das Fünfzigfache leisten von dem, was in Russland geborene Menschen leisten müssen. Deswegen kenne ich den Preis meines Erfolgs. Und möchte ihn so einsetzen, dass er auch anderen Menschen etwas bringt.

Zu deinen Unterstützerinnen gehört auch Ekaterina Pavlenko, die für die Ukraine als Solistin der Gruppe Go_A beim ESC antritt.

Sie ist sehr cool. Ich bedauere zutiefst, dass es diesen Konflikt (*zwischen Russland und der Ukraine, Anm. d. Red.) gibt.

Die Jurys von Russland und der Ukraine legen sich gegenseitig Steine in den Weg - indem die Zuschauer für den Beitrag des jeweils anderen Landes stimmen. Was hältst du davon?

Sehe ich nach einer Politikerin aus? Ich denke, nein. Auch Katja Pavlenko sieht nicht danach aus. Vielmehr sind wir Frauen, die Musik lieben und ihren Job gut machen. Leider gibt es aber immer jemanden, der gerne etwas dazu dichtet. Und dann kommt es zu unschönen Dingen. Ich drücke es mal so aus: Einerseits gibt es die Politik und andererseits das Leben, das man möglichst würdig und glücklich meistern möchte. Dieses Leben hat mit der Politik nichts zu tun.

Das Gespräch führte Andreas Brenner

Hier ist das gesamte Interview auf Russisch zu lesen.