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Mandelas Heimatort hat nicht vom Ruhm profitiert

Ludger Schadomsky6. Dezember 2013

Am Sonntag (15.12.2013) wurde Nelson Mandela in seinem Geburtsort Qunu beigesetzt. Noch immer leidet seine Heimatregion unter bitterer Armut - daran hat sich seit Mandelas Kindheit nichts geändert. Ein Besuch.

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Nelson Mandelas Heimatregion Qunu (Foto:DW/Ludger Schadomsky)
Bild: DW/L.Schadomsky

Hirten lassen ihre Ziegen auf sanften grünen Hügeln weiden. Mitten hindurch schlängelt sich die Nationalstraße N2. Hier, im Dorf Mvezo, im Südosten Südafrikas, wurde Nelson Mandela 1918 geboren. Von der Wirtschaftskraft des Landes kommt in der Ostkap-Provinz nichts an - heute wie damals nicht.

Nach einem Streit mit der weißen Provinzregierung verlor Mandelas Vater sein Amt und sein Vermögen. Daraufhin zog der fünfjährige Mandela mit seiner Mutter einige Täler weiter in das Dorf Qunu. "Es war eine glückliche Kindheit", schrieb der südafrikanische Freiheitsheld später in seiner Biographie "Long Walk to Freedom" über seine Jahre in Qunu. Es war vor allem eine unbeschwerte Kindheit: Mandelas Ziehvater war einflussreicher Häuptling der Thembu, einer Ethnie der Xhosa. Und sein Ziehsohn Nelson genoss damals Privilegien, von denen Jugendliche in Qunu heute nur träumen können.

Pilgerstätte für viele Südafrikaner

In dem Dorf befindet sich das Mandela-Museum - für viele Südafrikaner ist es zu einer Art Pilgerort geworden: Auch Luthando Mzizi ist hierhin gekommen, um seinem "Tata" ("Vater") Respekt zu erweisen. Der 43-Jährige hat seit dem Ende der Rassentrennung 1994 eine Firma aufgebaut - heute ist sie an Südafrikas Börse notiert und Mzizi beschäftigt 50 Mitarbeiter. "Das habe ich nur Mandela zu verdanken", sagt er. Mandela habe die Schwarzen befreit und ihnen Perspektiven eröffnet. "Deshalb mache ich ihm heute in seinem Museum meine Aufwartung", sagt der Geschäftsmann. Hilfe beim Aufbau seiner Firma bekam er vom Förderprogramm der Regierung "Black Economic Empowerment" (BEE). Dessen Ziel ist es unter anderem, schwarzen Unternehmern dabei zu helfen, den Wettbewerbsrückstand durch das frühere Appartheid-Regime aufzuholen. Manche junge weiße Südafrikaner fühlen sich dadurch benachteiligt.

Geschäftsmann Luthanda Mazizi (Foto:DW/Ludger Schadomsky)
Verdankt Mandela viel: Geschäftsmann Luthanda MaziziBild: DW/L.Schadomsky

Dennoch pilgern längst nicht nur Schwarze nach Qunu zur Mandela-Stätte: Lisa Copeland ist mit ihren drei Kindern aus dem fernen Kapstadt gekommen. "Als Madiba so alt war wie ich, hat er schon Tiere gehütet!", erzählt ihre sechsjährige Tochter Olivia aufgeregt. Madiba ist Mandelas Clanname in der lokalen Sprache Xhosa und zeugt von hohem Respekt - auch für viele weiße Südfarikaner. Olivias Mutter Lisa erklärt: "Ich wollte, dass meine Kinder später ihren Kindern erzählen können, sie hätten Madiba noch zu dessen Lebzeiten in seinem Heimatdorf besucht." Ihr Wunsch ist beinahe in Erfüllung gegangen: Als sie das Interview gab, litt Mandela bereits an einer schweren Lungeninfektion und blieb in seinem Haus in Kapstadt. Am Donnerstag (05.12.2013) ist Nelson Mandela gestorben.

Besucher am Mandela-Museum (Foto:DW/Ludger Schadomsky)
Besucher aus Kapstadt: Lisa Copeland und ihre sechsjährige Tochter OliviaBild: DW/L.Schadomsky

Vom Museum aus erreicht der Besucher in 30 Minuten jene Felsenrutsche, auf der Mandela als Kind auf dem Hosenboden zu Tal sauste - die blankpolierte Steinpiste zeugt davon, wie gefährlich die Rutschpartie war.

Resignation und Drogen

In Sichtweite des Museums hängen drei Jugendliche an einem Kisok ab. Sie sind arbeitslos - wie viele ihrer Altersgenossen hier. Ihr Atem riecht nach Alkohol, die Augen sind rotgerandet - Zeichen des heftigen Konsums von Haschisch, das hier angebaut wird und "Dagga" heißt. Immer größer wird das Heer perspektivloser Jugendlicher in Südafrika. Der Kiosk gehört einem in Qunu gestrandeten Pakistani, der weder Englisch noch Xhosa spricht. Sein Geschäft läuft trotzdem. Plastik-, Kekstüten und Softdrink-Flaschen liegen verstreut. "Drei mal Zigaretten“, gestikulieren die Jungen an der Ladentheke. Ihr Geld reicht nicht für eine ganze Schachtel.

Madiba war ihre einzige Hoffnung. Von ihm erhofften sie sich Hilfe für die Region, vor allem Arbeitslplätze. Imonti Mdingane, einer der Jugendlichen, schimpft: Der gegenwärtige Präsident Jacob Zuma ziehe den Leuten das Geld aus der Tasche. Das ist eine Anspielung auf die Korruptionsskandale um den Präsidenten. Zuma ist Zulu, und beim Xhosa-Volk am Ostkap nicht sonderlich beliebt. Siphelo Mabi, der zweite der drei Jugendlichen, hat vor elf Jahren die Schule abgeschlossen. "Seitdem habe ich nur ab und an mal Aushilfsjobs gemacht". Er hofft auf ein kleines Geschäft und bietet dem deutschen Reporter Dagga an.

Streit um Erbe spaltet Mandelas Familie

Etwa 30 Kilometer weiter, im Dorf Mvezo, dem Geburtsort Mandelas, steht eine große Villa: Am hohen Stahltor stehen breitschultrige Wächter. Hier wohnt Mandla Mandela, Mandelas 39-jähriger Enkel. Als ältester männlicher Nachfahre und als Angehöriger des Thembu-Königsgeschlechts ist der Enkel Häuptling in Mvezo. Sein Anwesen ist üppig und verfügt seit neuestem über eine Privatstraße, die den Protzbau mit der Nationalstraße N2 verbindet.

Offiziell ist Mandla der Sprecher der Mandela-Familie. Tatsächlich aber liegt er mit der gesamten Familie im Clinch. Gegen deren Willen hatte er vor zwei Jahren die sterblichen Überreste der drei Kinder Nelson Mandelas umbetten lassen: vom Dorf Qunu nach Mvezo in den Hof seines Anwesens. Im Juli wurde per Gerichtsbeschluss verfügt, dass die Gebeine ins Familiengrab nach Qunu zurück gebracht werden müssen. Vergebens appellierte das Königshaus der Thembu, den Familienkrieg zu beenden: Nur im Frieden werde Madibas Geist erlöst, so die Warnung.

Außerdem kamen im vergangenen Jahr Gerüchte auf, Mandla Mandela hätte die Filmrechte für Mandelas Beerdigung lang vor dessen Ableben an den amerikanischen Fernsehsender CNN verkauft. Beide streiten das ab.

Nelson Mandelas Heimatregion Qunu (Foto:DW/Ludger Schadomsky)
Kein Durchlass für Journalisten zu Mandla Mandelas AnwesenBild: DW/L.Schadomsky

Die offen ausgetragenen Streitigkeiten verstören die Menschen in dieser ländlichen, sehr traditionellen Region. Hier haben noch lokale Chiefs das Sagen und Medizinmänner, die sogenannten Sangomas, rufen regelmäßig die Ahnen an. "Nein, das gehört sich nicht", schüttelt Museumsbesucher Luthando Mzizi den Kopf. "Über den Tod wird in der Familie gesprochen - aber nicht öffentlich".

Unweit der Nationalstraße N2 erhebt sich der pastellfarbene, mit Bäumen abgeschirmte Altersruhesitz Mandelas. Der Freiheitsheld war nicht mehr dort, seit seine Lungenerkrankung immer schlimmer geworden war.