Malteser Uneinigkeit
19. Oktober 2002Aus Brüsseler Sicht gehört die Inselrepublik Malta zu den sicheren Kandidaten der nächsten EU-Beitrittswelle. Mit einer Fläche von nur 316 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von gerade einmal 400.000 Menschen ist die Insel ein von der rein geographischen Größe her eher ein "kleiner Fisch".
Wirtschaftlich aber steht die Mittelmeerinsel blendend da: Von einer Arbeitslosenquote von rund 4,5 Prozent und einer Inflationsrate von weniger als 2,5 Prozent können viele EU-Mitgliedsstaaten und –kandidaten nur träumen. Während andere darum kämpfen, die Bedingungen für den ersehnten EU-Beitritt endlich zu erfüllen, sieht das in Malta anders aus.
Denn die Malteser wissen nicht, ob sie überhaupt zum europäischen Bund dazugehören wollen. In Zahlen: 40 Prozent der Bevölkerung plädieren zwar für einen Beitritt, aber 36 Prozent sind dagegen. Seit elf Jahren wird über die strittige Frage diskutiert – und immer noch weiß fast ein Viertel der Menschen nicht, wie sie sich entscheiden sollen.
Arbeitsbedingungen in der Kritik
Seit 1964 erst genießt Malta seine Unabhängigkeit von Großbritannien und viele Menschen in der ehemaligen Kronkolonie sind skeptisch, die gewonnene Freiheit wieder abzugeben. So auch David Montebello, Besitzer eines kleinen Familienhotels. Er fürchtet, zusätzliche Kosten könnten gar seine Existenz bedrohen: "Ein Problem wäre zum Beispiel der Feuerschutz. Wir müssten neue, teure Anlagen kaufen, solche von europäischem Standard. Ansonsten würden wir unsere Lizenz verlieren."
Die EU würdigt die wirtschaftlichen Erfolge der Malteser, einige Punkte der Kritik müssen sich die Südländer aber dennoch gefallen lassen. So kritisiert Brüssel beispielsweise die Arbeitsbedingungen, die nicht ausreichend geregelt sind. In einem Prüfbericht von November 2001 wird bemängelt: "Malta hat zwar in der Sozialpolitik Fortschritte gemacht, dennoch sind Maßnahmen erforderlich in Bezug auf Arbeitsrecht sowie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz."
Maghtab: eine riesige Mülldeponie
Befürworter eines EU-Beitritts argumentieren in genau diese Richtung: Von den EU-Standards erhoffen sie sich eine Verbesserung vieler Missstände, unter denen die Insel leidet. Dabei handelt es sich zum einen um mangelhafte Bedingungen am Arbeitsplatz.
Zum anderen liegt aber auch in der Umweltpolitik vieles im Argen – Recycling und Katalysatoren sind auf der schönen Insel unbekannt. Der größte Berg auf Malta ist Maghtab: Es ist die zentrale Mülldeponie, von der aus der Müll ungehindert ins Meer absackt.
Die oppositionelle Arbeiter-Partei jedoch will diese Probleme eigenständig lösen. In einem EU-Beitritt sieht sie wirtschaftliche Gefahren. Ihrer Meinung nach werden sich nach einem Beitritt die Arbeitsbedingungen verteuern und ausländische Investoren abgeschreckt werden. Die werden bislang durch niedrige Lohnkosten angelockt – die bisher rund zwei Drittel unter dem deutschen Niveau liegen.
"Platz in der EU"
Dennoch will die Labour-Partei die Beziehungen zur EU vertiefen: Malta soll Mitglied einer EU-Freihandelszone werden, mit allen Vorteilen bei größtmöglicher Selbständigkeit. Die Gefahr einer politischen Isolation sieht Labour-Vize-Chef George Vella nicht: "Ist Norwegen isoliert? Oder Liechtenstein, Island oder die Schweiz? Wir möchten in unseren Beziehungen zur EU flexibel bleiben, aber das Verhältnis zugleich stärken."
Demgegenüber sieht der konservative Premierminister Edward Fenech Adami sein Land in der EU gut aufgehoben: "Malta erfüllt alle Voraussetzungen. Betrachtet man den wirtschaftlichen und sozialen Bereich, so hat sich gerade die Wirtschaft in den vergangenen Jahre gut entwickelt." Durch lange Handelsbeziehungen sieht er das Land schon längst mit der EU verflochten: "Deshalb sind wir fest davon überzeugt, dass unser Platz in der Europäischen Union ist."
Anfang nächsten Jahres stehen die Malteser vor einer historischen Entscheidung: Per Referendum werden sie über den EU-Beitritt abstimmen.