Malis vergessene Flüchtlinge
22. August 2016Im Flüchtlingscamp von Mentao spielen zwei Männer Scrabble und vertreiben sich so die Zeit. Vor ihrem Zelt stehen ein paar Ziegen. Eine Arbeit hat kaum jemand. Es ist Alltag in der Unterkunft, in der mehr als 12.000 Menschen leben. Viele von ihnen sind schon seit 2012 hier, als die Lage in der Heimat Mali nach Tuareg-Aufstand, Staatsstreich und Besetzung des Nordens durch Islamisten immer riskanter wurde. In der Flucht über die Grenze sahen sie ihre einzige Rettung.
Muphtah Ag Mohamed stammt aus der Nähe von Timbuktu. Als dort die Situation im Februar 2012 immer unübersichtlicher und gefährlicher wurde, machte auch er sich mit seiner Familie auf den Weg ins Nachbarland. Nun vertreibt sich der einstige Stoffhändler den Nachmittag damit, den jungen Männern beim Spielen zuzuschauen. Eigentlich wollte der 62-Jährige nur kurze Zeit in Burkina Faso bleiben. Dass der Aufenthalt in Mentao jedoch zum Dauerzustand wird, damit hatte er nicht gerechnet: "Im Jahr 2013 haben wir jeden Tag gesagt: Morgen werden wir zurück gehen. Das klappte nie."
In Burkina Faso sind Ag Mohamed und seine Landsleute zumindest einigermaßen in Sicherheit. Darüber ist er froh, denn aus Mali reißen die Schreckensmeldungen nicht ab. Mal sterben 30 Menschen in Kidal, mal sind es zehn bei Timbuktu. Nach Europa dringen diese Nachrichten nur selten. Die Flüchtlinge sind indes gut informiert.
Die Lebensmittel werden knapp
Am Eingang des Camps stehen zahlreiche Tafeln von Hilfsorganisationen. Viele von ihnen haben Mentao jedoch schon längst wieder verlassen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass die Portionen längst nicht mehr für die großen Familien reichen und weiter gekürzt werden sollen.
In der Hauptstadt Ouagadougou bestätigt Gogo Hukportie, Repräsentantin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), diese Entwicklung. "Man kann schon von einer vergessenen Krise sprechen", sagt sie. Grund dafür sei, dass diese so lange andauere. "In einer akuten Notsituation sind immer Mittel und Partner da. Man versucht, etwas in Bewegung zu setzen. Aber je länger eine Krise anhält, desto stärker verliert sie an Aufmerksamkeit", bedauert Hukportie.
Flüchtlinge lassen die Bevölkerung weiter wachsen
All das spielt sich in einer Region ab, die ohnehin schon ziemlich vernachlässigt ist. Sie liegt im äußersten Nordwesten Burkina Fasos. Die Straße dorthin ist eine reine Schotterpiste, die nur schwer passierbar ist. Am Rande der Sahelzone werden außerdem die Regenfälle immer unberechenbarer. Landwirtschaft zu betreiben, ist eine Herausforderung. Das Bevölkerungswachstum liegt hingegen bei rund drei Prozent. Etwa 65 Prozent der rund 19 Millionen Bewohner sind jünger als 25 Jahre. Sie alle müssen ernährt werden.
Auf dem Markt der Provinzhauptstadt Djibo gibt es noch ausreichend Lebensmittel zu kaufen. Doch der 78-jährige Belco Tamboura ist bestürzt über die aktuelle Situation. "Schon seit 1973 haben wir immer weniger Nahrung. Hier sind fast alle Kühe verendet. Heute ist alles sehr teuer", klagt Tamboura, der zu den Urgesteinen in seiner Heimatstadt gehört und diese nur in den 1960er Jahren einmal für seine Ausbildung in Ouagadougou verlassen hat. Seiner Ansicht nach verschärft sich die Lage durch die zahlreichen Flüchtlinge noch. Kontakt hat er allerdings keinen zu ihnen. In Mentao, das gut zwölf Kilometer von Djibo entfernt ist, war er noch nie – so wie viele Menschen in Djibo. Die meisten tolerieren die Flüchtlinge, mehr jedoch nicht.
Angst vor Banditen und Entführungen
Eine weitere Entwicklung sorgt hingegen für viel mehr Diskussionen: Die unsichere Lage in Mali wirkt sich längst auf Burkina Faso aus. Der Norden ist einer Zone geworden, vor der Botschaften warnen. Auch dort können Terroristen und Banditen aus Mali jederzeit zuschlagen. Erst im Januar hatte Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) ein australisches Ehepaar in Djibo entführt. Von dem Mann, der seit den 1970 Jahren in der Stadt lebte und das größte Krankenhaus der Region aufgebaut hat, fehlt bis heute jede Spur. Noch immer ist das Entsetzen über den Vorfall riesengroß. Gleichzeitig schreckt es Hilfsorganisationen ab.
Dass sich die Sicherheitslage schnell bessert, davon geht mittlerweile niemand mehr aus. In einem Hinterhof in Djibo schüttelt auch ein ehemaliger Armee-Angestellter den Kopf, der namentlich nicht genannt werden will. "Ohne Sicherheit wird die Lage immer schwierig bleiben. Die Stadt braucht zwei Dinge: Gesundheit und Sicherheit. Wenn es das eine nicht gibt, wird es auch das andere nicht geben."
In Mentao spürt das auch Muphtah Ag Mohamed, der sich weiter in Geduld üben muss. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in sein Dorf bei Timbuktu hat er zwar noch nicht aufgegeben. Doch er klingt müde und niedergeschlagen, wenn er daran denkt: "Die Möglichkeit der Rückkehr? Wir haben keine Ahnung, wann es möglich wird."