Malis Militär im Norden: Der Kampf um Kontrolle
28. Februar 2024Inmitten der heißen Wüste Malis liegt der Schauplatz jahrelanger, brutaler Kämpfe. Die Stadt Kidal, 1200 Kilometer entfernt von Malis Hauptstadt Bamako, war lange Ausgangspunkt des Unabhängigkeitskampfs der Rebellen. Seit November ist Kidal im Nordosten des Landes, nach tagelangen schweren Gefechten, wieder unter der Kontrolle der regierenden Junta. Ein Großteil der Einwohner floh.
Die Rückeroberung Kidals war für die Regierung Malis in Bamako seit Beginn Priorität, erklärt Christian Klatt, Leiter der den deutschen Sozialdemokraten nahestehenden Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bamako, im DW-Interview. "Doch seitdem ist nicht viel passiert. Die Bewachung und Versorgung Kidals ist mühsam. Das bedeutet, dass dafür im Landeszentrum wichtige Routen weniger bewacht werden, wodurch sich vor allem radikale islamische Akteure in dieser Region ausbreiten."
Seit Jahren kämpft die malische Armee gegen Tuareg-Gruppen. Diese fordern Autonomie für die Wüstenregion, die sie Azawad nennen. In dem seit 2012 andauernden Konflikt agieren auch andere militante Gruppen, die mit Al-Qaida und dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen. Bei Kämpfen wurden seitdem Tausende Zivilisten getötet.
Schwindender Enthusiasmus
Mit der Hoffnung auf Veränderung hatten sich viele Malier nach der Machtübernahme im August 2020 hinter die Putschisten und ihren Anführer Assimi Goita gestellt. Diese hatten die Absetzung von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta auch mit dessen geringen Erfolgen beim Thema Sicherheit begründet. Doch die Zahl der Angriffe im Norden Malis hat sich mehr als verdoppelt, seitdem im August 2023 die 13.000 Blauhelme umfassenden UN-Friedenstruppen auf Wunsch der malischen Regierung abgezogen wurden. Nach Angaben der Hilfsorganisation Mercy Corps ist mehr als ein Drittel der Malier auf humanitäre Hilfe angewiesen, immer mehr Menschen fliehen aufgrund der Kämpfe aus ihren Dörfern. Dass die Bevölkerung wenig Kritik äußert, führt FES-Büroleiter Klatt auf die vom Militärregime eingeschränkten demokratischen Räume zurück. "Das macht es sehr schwer für die Menschen, ihren Unmut zu äußern."
Ein militärischer Frontalkurs
In ihrem Kampf gegen Rebellen und Dschihadisten setze die Regierung auf eine militärische Strategie, so Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programms der den deutschen Christdemokraten nahestehenden Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bamako. "Mit Hilfe russischer Söldner soll so viel Territorium wie möglich kontrolliert werden. Mali hat von Russland, der Türkei und anderen Ländern viel militärisches Gut eingekauft: Hubschrauber, Jets und Drohnen", sagt Laessing im DW-Interview.
Auch rechtlich gehe die Junta gegen "Terroristen" vor. Die malische Justiz kündigte im November Ermittlungen gegen lokale Al-Qaida-Führer und Tuareg-Separatisten wegen "terroristischer Handlungen, Terrorismusfinanzierung und illegalem Besitz von Kriegswaffen" an. Dabei findet kaum Differenzierung zwischen Dschihadisten und separatistischen Gruppierungen statt, kritisiert FES-Experte Klatt: So sei separatistischen Gruppen im Norden eine Nähe zu Al Qaida unterstellt worden. "Man sagte, man verhandele nicht mit Terroristen, und so konnte Bamako militärisch gegen sie vorgehen."
Gescheitertes Friedensabkommen
Die Rebellengruppen hatten seit langem die langsame Umsetzung eines Friedensabkommens von 2015 kritisiert. Punkte wie die Dezentralisierung Malis und eine bessere Entwicklung des Nordens wurden kaum umgesetzt.
Vorschläge der Rebellen für eine internationale Vermittlung, um den Dialog wieder in Gang zu bringen, lehnte Bamako ab. Ende Dezember 2023 begannen die Militärregierung mit der Planung eines landesweiten Dialogs, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Das Friedensabkommen erklärte sie im Januar 2024 für nichtig: Unterzeichner hätten ihre Verpflichtungen nicht eingehalten und der Hauptvermittler Algerien agiere "feindselig".
"Bamako nutzt jetzt diese Gelegenheit, um ein Abkommen zu schließen, das mehr im eigenen Sinne ist", erklärt Klatt. Zuvor hätte von diesem eher der Norden des Landes profitiert, nun solle es anders sein.
Strategie der Separatisten und Dschihadisten
Währenddessen verfolgen die separatistischen Tuareg eigene Strategien: Im Dezember blockierten sie wichtige Straßen im Norden Malis, die zu den Grenzen mit Mauretanien, Algerien und Niger führen. "Wir haben hier verschiedenste Akteure mit verschiedenen Zielen und Vorgehensweisen. Die Tuareg-stämmigen Gruppen sehen sich als legitime Herrscher und versuchen, ein positives Verhältnis mit der Zivilbevölkerung zu haben. Zudem wollen sie wichtige Wege der malischen Armee abschneiden", so Klatt.
Dschihadistische Gruppen hingegen konzentrierten sich vermehrt auf kleinere Angriffe, so Laessing: "Ein Dorf angreifen, sich schnell zurückziehen, Sprengmittel an den Straßen platzieren. Sie vermeiden den offenen Kampf, weil sie sehen, dass sie gegen die russischen Söldner und die malische Armee keine Chance haben. Andererseits ist die malische Armee auch nicht in der Lage, dieses riesige Land zu kontrollieren. Da werden sich immer wieder Lücken ergeben, und die werden Dschihadisten nutzen, um gezielt Armeestützpunkte anzugreifen", glaubt der KAS-Experte.
Doch es bräuchte weitere Ansätze, so Laessing: "Man muss die Gründe angehen, warum Menschen sich solchen Gruppen anschließen. Dazu gehören Perspektivlosigkeit, keine Jobs, wenig Hoffnung." Fast 70 Prozent der Malier leben in Armut. Der Zugang zu Bildung, Medizin, Strom und Wasser ist stark eingeschränkt.
Spannungen zwischen Algerien und Mali
Für Unmut sorgt auch die Rolle Algeriens in Malis Kampf um Kontrolle. Mali hatte wiederholt beklagt, dass sich der Nachbar in seine inneren Angelegenheiten einmische und Treffen mit Tuareg-Separatisten abhalte, ohne Mali mit einzubeziehen.
"Algerien hat immer versucht, Kontakte zu den Tuareg aufzubauen, die auch im Süden Algeriens leben", erklärt Laessing. "Daher ist Algerien sehr daran interessiert, dass es im Norden Malis nicht zu instabil wird und dass auch die Dschihadisten, die ursprünglich aus Algerien kamen, nicht wieder zurückkehren." Laessing bezweifelt, dass Mali überhaupt weiter an algerischer Vermittlung interessiert ist: "Ich glaube, Mali will da seinen eigenen Weg gehen."
Das zeigt auch der Austritt Malis aus der westafrikanischen Wirtschaftgemeinschaft Ecowas gemeinsam mit den ebenfalls von Putschisten regierten Nachbarn Burkina Faso und Niger. Sie warfen der Ecowas vor, sie nicht bei der Bekämpfung des Terrorismus zu unterstützen. Die erneute Verschiebung der mehrfach versprochenen malischen Präsidentschaftswahlen auf unbestimmte Zeit wolle die Junta nun nutzen, um ihre Macht im Land zu festigen, so Leassing. Die Experten stimmen überein: Die Junta will ihre Karten nicht aus der Hand geben.