Mali: Rebellion im Wüstenstaat
7. März 2012"Azawad" – so nennen die Tuareg-Nomaden das Wüstenland im Norden von Mali. Ein Siedlungsgebiet so groß wie Frankreich, verarmt und unwegsam. Seit fast zwei Monaten toben hier heftige Kämpfe zwischen der malischen Armee und einer neuen Tuareg-Rebellenorganisation, der Nationalen Befreiungsbewegung Azawad (MNLA). Berichte über den Verlauf der Gefechte sind widersprüchlich. Auch verlässliche Opferzahlen gibt es nicht. Doch die Kämpfe um Azawad, sagen Experten, seien eine ernsthafte Gefahr für die Stabilität des Landes.
Gaddafis Söldner kehren heim
"Die Intensität der Kämpfe ist eine Folge des Bürgerkrieges in Libyen und des NATO-Einsatzes dort“, sagt Mali-Kenner Georg Klute von der Universität Bayreuth. Wie Medien berichten, sollen nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes bis zu 4.000 Tuareg-Söldner in ihre Heimatländer geflohen sein, vor allem in den Niger und nach Mali. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die meisten von ihnen standen im Dienst der Gaddafi-Armee, verteidigten die Macht des Diktators im libyschen Frühling.
Zurück in Mali sei ein Teil der Söldner von der Armee rekrutiert worden, andere hätten sich den MNLA-Rebellen angeschlossen, sagt Georg Klute. Aus Libyen haben die Tuareg auch schwere Waffen mitgebracht: Raketen, Scharfschützengewehre, panzerbrechende Geschosse. "Diese Waffen sind zum Teil besser als die Waffen der malischen Armee und das ist die Neuigkeit in dieser Rebellion", sagt der malische Ethnologe Mamadou Diawara von der Universität Frankfurt.
Kampf um eigenen Staat
Schon Mitte 2011 setzte sich Mohammed Ag Najem, ein ehemaliger Oberst der libyschen Armee, nach Mali ab, gründete hier die MNLA. Sie versteht sich als revolutionäre Bewegung und Stimme der Tuareg. Aber auch andere Minderheiten wie Araber, Mauren und Fulani zählen die Rebellen zu ihren Unterstützern. Ihr Ziel formuliert die MNLA so deutlich wie nie zuvor: ein eigener unabhängiger Staat mit dem Namen Azawad. "Einheit – Gerechtigkeit – Freiheit" fordert die Gruppe auf ihrer Webseite und veröffentlicht Updates zur Gefechtslage im malischen Norden. "Wir haben es mit friedlichen, demokratischen Mitteln versucht, aber damit sind wir in einer Sackgasse gelandet. Wir wollten verhandeln, aber die Regierung antwortet uns nur mit militärischer Gewalt“, sagt Moussa Ag Assari, ein Sprecher der Rebellen.
Mehr als 120.000 Menschen sind nach UN-Angaben bereits vor den Gefechten geflohen. Etwa die Hälfte davon sind im Land geblieben, der Rest harrt in den Nachbarstaaten Mauretanien, Burkina Faso, Algerien und Niger aus. Auch hier leben Tuareg-Minderheiten.
Kaum Kontrolle über Nord-Mali
Der Kampf der Rebellen um Autonomie ist so alt wie die Unabhängigkeitserklärungen ihrer jeweiligen Staaten. 1,5 Millionen Tuareg leben in Sahel-Zone. Seit 1960 rebelliert ein Teil der Nomaden regelmäßig, besonders in Mali und im Tschad. Zuletzt wurde ein Konflikt zwischen 2007 und 2009 durch einen Friedensvertrag beendet – ausgehandelt von Muammar al-Gaddafi.
Doch im jüngsten Konflikt sind bislang alle Verhandlungen gescheitert. Eine Teilung des Landes kommt für die malische Regierung unter Präsident Amadou Touré nicht in Frage. Ende April stehen Wahlen an, bis dahin will die Armee die Rebellen besiegt haben. Doch besonders weit reicht der Arm der Regierung schon lange nicht mehr in den entlegenen Norden. "Wir haben viel in die wirtschaftliche Entwicklung dieser Region investiert“, sagt Malis Außenminister Soumeyla Boubèye Maiga, "aber es stimmt auch, dass der Staat dort nicht sehr präsent ist – und das schon seit Jahren.“
Rückzugsgebiet von Al Kaida
Und von diesem Mangel an staatlicher Kontrolle profitiert nicht nur die MNLA. Der unwegsame Norden Malis gilt schon lange als Rückzugsgebiet von Drogenschmugglern, radikalen Salafisten und Mitgliedern der Al-Kaida im Maghreb. Diese hatten in den vergangenen Jahren immer wieder mit Touristen-Entführungen auf sich aufmerksam gemacht. Über eine Allianz der Tuareg-Rebellen mit dem islamistischen Terrornetzwerk wird spekuliert. Beweise gibt es nicht. "Jetzt steht die regionale Sicherheit auf dem Prüfstand“, warnt der Ethnologe Diawara. "Wenn sich die Sahara zur Brutstätte Al-Kaidas entwickelt, dann hätten sie einen Staat oder eine ganze Region, in der sie ungestört operieren könnten. Das ist eine große Gefahr." Und deshalb müssten sich jetzt die Nachbarländer einschalten und in dem Konflikt vermitteln, sagt Diawara.
Autorin: Julia Hahn
Redaktion: Adrian Kriesch