1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Making Heimat: deutscher Pavillon im Architekturmuseum

4. März 2017

Deutschland präsentierte sich auf der Architektur-Biennale von Venedig 2016 mit einer politischen Botschaft: Wir sind ein Einwanderungsland! Jetzt kann man den Pavillon im Architekturmuseum Offenbach anschauen.

https://p.dw.com/p/1IudD
Deutscher Pavillon auf der 15. Architektur-Biennale Venedig (Foto: picture-alliance/dpa/DAM/Kirsten Bucher)
Bild: picture-alliance/dpa/DAM/Kirsten Bucher

Groß, hell und sparsam möbliert empfängt der Deutsche Pavillon seine Besucher. Weiße Plastikstühle stehen herum. Mit Ziegelsteinen bepackte Holzpaletten formen eine Art Infotresen, an dem es bedruckte Jutetaschen, Bücher und kleine Andenken zu kaufen gibt. Was auch auffällt, ist das von allen Seiten einströmende Licht und der permanente Windhauch. Die Szenerie erinnert an eine Bahnhofshalle. Kommen, bleiben oder gehen kann man in dieser Durchgangsstation. Offenheit ist Programm. Vier große Öffnungen hat man deshalb in die denkmalgeschützten Wände brechen lassen.

An den Wänden des deutschen Pavillons kleben Texte und Fotos. Foto: Stefan Dege, DW
Etwas verkopft wirkt die Präsentation aus Texten und FotosBild: DW/S. Dege

Schon länger war klar, worauf Peter Cachola Schmal, der als Generalkommissar des Deutschen Pavillons eingesetzte Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, und sein Kuratorenteam aus Oliver Elser und Anna Scheuermann abzielten. "Making Heimat. Germany, Arrival Country" haben sie ihr Projekt genannt. Deutschland, so ihre These, sei längst ein Einwanderungsland. Nun müsse man den Ankömmlingen das Ankommen erleichtern - ein Wink an Architekten und Städteplaner, in erster Linie aber an die Politik. Doch wie zerrissen Deutschland in der Flüchtlingsfrage sein würde, nachdem allein 2015 eine Million Menschen eintrafen und ihre schiere Masse das Land verstörte, konnten die Kuratoren nicht ahnen. Mittlerweile ist die politische Rechte erstarkt, die Grenzen sind längst wieder dicht und die Willkommenskultur ist Geschichte: Die Entwicklung der letzten Monate macht es den Kuratoren schwer. "Das Statement bleibt", schreiben die Pavillon-Betreiber trotzig, "jetzt erst recht!"

Das Team des deutschen Biennale-Pavillons umringt einen improvisierten Tresen. Foto: Stefan Dege, DW
Im Einsatz: das Team des deutschen Biennale-PavillonsBild: DW/S. Dege

Kuratoren verlangen Kopfarbeit

Wer also in Venedig durch das parkähnliche, mit alten Bäumen bestandene Areal der Biennale streifte, wer die Stufen zu dem in strammer NS-Architektur aufragenden Deutschen Pavillon erklomm - 1938 erhielt er durch den Umbau von Ernst Haiger seine heutige Strenge - der musste schon etwas Zeit mitbringen. Zu viel Kopfarbeit verlangten die deutschen Kuratoren von ihren Besuchern.

Drei Teile umfasst ihre Präsentation, die spartanisch und werkstatthaft wirkt, weil sie einzig aus Schriftzügen, Texten und Fotos besteht, die schmucklos an den Wänden kleben: Da hängen zunächst acht Thesen zum Thema Ankunftsland, illustriert von Fotos, Statistiken und erklärenden Texten. "Die Arrival City", lautet einer dieser Kernsätze, "ist eine Stadt in der Stadt." Ob in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt oder Köln - vielerorts gelten Bezirke mit hohem Ausländeranteil als "Problemviertel". Dabei böten sie vieles, was es zum Ankommen in der neuen Gesellschaft braucht: Billige Wohnungen, Jobs, kleine Gewerbeflächen, gute Verkehrsanbindung, Netzwerke aus Landsleuten - und eine Kultur der Toleranz. Schmal und sein Team werben für einen neuen Blick auf Deutschlands Einwandererviertel. Pate dafür stand der kanadische Journalist Doug Saunders, der für sein Buch "Arrival City. Die neue Völkerwanderung" die Slums und Favelas von 30 Megastädten rund um den Globus besuchte und über die Umstände von Migration recherchierte. Saunders Credo: "Migration in die Städte ist kein schreckliches Zivilisationsübel, sondern ein Fortschritt."

Eine Zeltstadt bei Essen nimmt Flüchtinge provisorisch auf. Foto: GVE/DAM
Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in EssenBild: GVE/DAM

Ankunftsstädte in Deutschland

Wo und wie das Zusammenleben von Zuwanderern und Deutschen funktioniert? Lernen lässt sich das am Beispiel Offenbachs, dem Prototyp der deutschen Ankunftsstadt. Ein eigener Raum des Deutschen Pavillons versammelt bebilderte Kurzporträts von Menschen, die es "geschafft" haben, deren Väter, Mütter oder Großeltern zum Teil noch als Fremde ins Land kamen. Ein Foto zeigt den türkischstämmigen Cafébesitzer Osman Göverim, der sich als Star-Wars-Fan outet. Ein anderes die aus Moldawien stammende Familie Popescu. "Wir investieren in unsere Kinder so viel wir können", sagt Vater Dimitru, der als Lastwagenfahrer arbeitet. Nicht fehlen darf auch Arthur Seitz, der alte Hausmeister aus der Hermann-Steinhäuser-Straße im grauen Kittel und mit Schiebermütze aus braunem Cord. Er habe, schmunzelt er, schon viel gesehen in seinem bald 80-jährigen Leben. "Ich bin zufriede mit meine Leut", erzählt er in Mundart, "un sie mit mir". "Offenbach", so ihr gemeinsames Motto, "ist ganz okay!"

Bevor aus Neuankömmlingen reguläre Einwanderer werden können, beziehen viele erst einmal Quartier in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften, wie sie derzeit überall in Deutschland aus dem Boden gestampft werden. Aus diesem Grund lenkt das Kuratorenteam um Peter Cachola Schmal auch den Blick auf die Qualität von Flüchtlingsbauten. Eine wachsende Zahl von Entwürfen und Projektberichten versammelt seit Monaten eine Datenbank mit dem Titel makingheimat.de. Sie ist im Internet für jedermann einsehbar, soll aber vor allem Städte und Gemeinden als Bauherren inspirieren. Ausgewählte Beispiele können die Biennale-Besucher bestaunen.

Mauerdurchbrüche erlauben den Blick auf den Lido. Foto: Stefan Dege, DW
Mauerdurchbrüche im deutschen Biennale-Pavillon stehen für ein offenes DeutschlandBild: Getty Images/AFP/V. Pinto

Es gibt also viel zu lesen und noch mehr zu verstehen im Deutschen Pavillon auf der Architektur-Biennale 2016. Zu einem "Reporting from the Front" hatte der chilenische Biennale-Direktor Alejandro Aravena die Teilnehmer aufgefordert. Die deutschen Kuratoren wollen ihr Konzept denn auch als Interpretation dieses Leitmotivs verstanden wissen. Mit Einblicken zu Einwanderung und Ankunftsstädten, aber ebenso zum Bauen für Flüchtlinge. Wem das noch nicht genug Theorie ist, kann alles noch einmal nachlesen. Bei Hatje Cantz ist ein in Signalrot eingebundener Katalog erschiene

Ob Deutschlands Biennale-Beitrag die Flüchtlingsdebatte in Deutschland beflügelt - oder als laues Lüftchen verpufft, stellte sich in Venedig so mancher die Frage. Doch jetzt kann man den Pavillon auch in Deutschland erkunden - noch bis zum 10. September im Deutschen Architekturmuseum in Offenbach.