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"Libyen wird ein schwarzes Loch"

Dagmar Breitenbach17. August 2015

Eine der Regierungen in Libyen bittet um Hilfe im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Aber weder militärische noch politische Interventionen werden Erfolg haben, sagt Islamwissenschaftler Michael Lüders.

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Kämpfer der Miliz Fajr Libya (Libysche Morgendämmerung) feuern aus einem Panzer während eines Kampfes mit Kräften der international anerkannten Regierung, südwestlich von Sabratha, 28.04.2015 (Foto: Getty Images/AFP)
Bild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Deutsche Welle: Die international anerkannte libysche Regierung hat die Arabische Liga offiziell darum gebeten, mit Luftangriffen im nordlibyschen Sirte den Vormarsch der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" zu stoppen. Wenn die Liga am Dienstag in Kairo zusammenkommt, wie wahrscheinlich ist es, dass die arabischen Verbündeten der Bitte nachkommen?

Michael Lüders: Es ist nicht klar, ob die Arabische Liga tatsächlich militärisch in Libyen intervenieren wird. Auf jeden Fall wird es nicht gelingen, das Chaos so zu sortieren.

Libyen verfügt über zwei Regierungen. Die eine ist international anerkannt und sitzt im Osten in Tobruk und die andere, die den Islamisten nahesteht, residiert in der Hauptstadt Tripolis. Seit dem Sturz von Gaddafi ist Libyen zur Beute von rivalisierenden Milizen, Stämmen und islamistischen Gruppen geworden, die versuchen, einen großen Teil des Kuchens für sich herauszuschneiden. Das Ganze hat zur Selbstzerstörung geführt.

Trotz wiederholter Versuche auch der UNO, einen Dialog unter den Kontrahenten in Gang zu setzen, gibt es keine funktionierenden diplomatischen oder politischen Mechanismen, die die Krise entschärfen könnten.

"Tägliche neue Allianzen"

Heißt das, die arabischen Verbündeten können sowieso nichts tun?

Es ist schwierig, in einem Staat militärisch zu intervenieren, der sich wie Libyen, Irak oder Syrien als ein gescheiterter Staat darstellt, mit verschiedenen politischen und militärischen Akteuren und Allianzen, die sich teilweise täglich neu schmieden. Es gab Überlegungen der ägyptischen Regierung, den östlichen Teil Libyens unter die eigene Kontrolle zu bringen - vordergründig, um den Terror zu bekämpfen, aber hintergründig mit der Überlegung, dadurch zu einem Machtfaktor im ölreichen Libyen zu werden. Aber von diesen Plänen hat Ägypten bislang Abstand genommen.

Wenn es keine militärische Lösung gibt, sehen Sie denn eine politische Lösung?

Schwierig. Wenn ein Zentralstaat erst mal aufgehört hat zu existieren und die unterschiedlichen Akteure im Land selbst nicht gewillt sind, miteinander Kompromisse zu schließen, sondern glauben, den Kontrahenten ihren eigenen Willen aufzwingen zu können, dann ist es sehr schwierig, in einem solch instabilen Land zu intervenieren. Auf welcher Seite will man eingreifen? Wo sind die Guten, wo die Bösen? Mit welchem internationalen Mandat soll das erfolgen?

Islamwissenschaftler Michael Lüders (Foto: DW)
Islamwissenschaftler Michael Lüders

Niemand hat ein Patentrezept. Libyen wird mehr und mehr ein schwarzes Loch in Nordafrika, eine Hochburg des "Islamischen Staates" und anderer radikaler Islamisten - und natürlich auch ein Sprungbrett für sehr viele Flüchtlinge in Richtung Europa.

Also ist Libyen bereits ein failed state, ein gescheiterter Staat?

Es deutet alles in diese Richtung. Es gibt keine funktionierenden staatlichen Institutionen mehr, keine Zentralgewalt, die in der Lage wäre, den demokratischen Willen des Volkes oder zumindest den eigenen Machtanspruch im ganzen Land durchzusetzen. Es gibt zu viele undurchsichtige Akteure mit sehr flexiblen Allianzen. Jeder kocht sein Süppchen in Libyen, unter den ausländischen Mächten allen voran Ägypten und Algerien.

Die Vorstellung, man könnte hier militärisch Probleme lösen, ist wahrscheinlich eine Illusion. Wenn ein Staat zerfallen ist, dauert es lange, bis neue Strukturen aufgebaut werden können. Das gelingt wahrscheinlich erst dann, wenn die kriegstreibenden Kräfte weitgehend ausgeblutet sind. Dieser Krieg in Libyen wird sich noch längere Zeit fortsetzen.

Flucht nach IS-Massakern an Christen: Ägypter verlassen Libyen im Februar 2015 (Foto: Getty Images/AFP)
Flucht nach IS-Massakern an Christen: Ägypter verlassen Libyen im Februar 2015Bild: AFP/Getty Images/M. Turkia

"Der 'Islamische Staat' ist ein Markenname"

Der "Islamische Staat" marschiert derweil mit unglaublicher Gewalt weiter durchs Land. Menschen werden hingerichtet oder brutal verstümmelt. In Derna im Osten des Landes, einer Stadt, aus der der IS vertrieben wurde, schlugen jetzt wieder Raketen ein. Geht das ungebremst so weiter?

So lange die Strukturen in Libyen so bleiben, wie sie sind - zerstört und ohne Hoffnung, dass eine starke Zentralregierung in absehbarer Zukunft Verantwortung übernehmen könnte -, so lange wird sich auch der Vormarsch des "Islamischen Staates" fortsetzen.

Der "Islamische Staat" in Libyen ist nicht identisch mit den Kräften des "Islamischen Staates" in Syrien und im Irak. Es handelt sich im Wesentlichen um Leute, die sich dieses Namens bedienen, weil er mittlerweile schon ein Trademark, eine Marke in der Dschihadistenszene geworden ist. Wer sich also diesen Namen zulegt, der verspricht sich davon einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Milizen. Die Brutalität des "Islamischen Staates" in Libyen ist genauso zu beobachten wie im Nahen Osten, und dazu gehört die brutale Hinrichtung und Zurschaustellung [der Ermordeten], wie das jetzt in Sirte geschehen ist.

Man versucht, den jeweiligen Gegner strategisch vollständig zu vernichten. Das macht es so schwer, sich in Kategorien von Kompromiss und Augenmaß politische Lösungen vorzustellen.

Der promovierte Islamwissenschaftler und Politologe Michael Lüders ist Publizist, Politik- und Wirtschaftsberater, Roman- und Sachbuchautor sowie stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Orient-Stiftung.

Das Gespräch führte Dagmar Breitenbach.