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Glaube

Luther und die Heiligen

28. Oktober 2022

Reformations- und Allerheiligenfest folgen direkt aufeinander. Sie markieren eine Zäsur zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Ein Bild vom Heiligen Martin Luther kann vielleicht eine Verbindung herstellen.

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Deurtschland | Luthermedaillion in der Marktkirche von Halle
Bild: C. Koehn

Da habe ich aber sehr gestaunt, als ich vor einigen Jahren in Halle an der Saale die Marktkirche Unser Lieben Frauen besuchte. An einer Emporenbrüstung prangt da nämlich ein Medaillon aus dem Jahr 1553 mit dem Reliefportrait vom großen Reformator Martin Luther und ist unterschrieben mit: „SANCTUS DOCTOR MARTINUS LUTHERUS“, „Heiliger Doktor Martin Luther“.

‚Ist Martin Luther heilig?‘ habe ich mich gefragt. Wie geht das? Martin Luther hatte sich zu Lebzeiten immer sehr kritisch gegenüber der Heiligenverehrung durch die katholische Kirche geäußert und verwehrte sich vor allem gegen die Anrufung der Heiligen, die er für „der antichristlichen Missbräuche einer“ hielt. Er wollte gerade einmal die Heiligen als Vorbild nehmen für ein christliches Leben, aber mehr auch nicht. Und nun setzten ihm seine eigenen Anhänger sieben Jahre nach seinem Tod ein Denkmal als Heiliger. Immerhin hatte Luther in der Marktkirche zuvor dreimal gepredigt.

Damals war der Bau der Marktkirche noch gar nicht vollendet. Und das ist sehr bemerkenswert, wenn man die Verbindungen zwischen Luther und der katholischen Kirche weiter betrachtet: Die Marktkirche wurde von einem der mächtigsten Gegner Luthers gebaut, dem Kardinal und Erzbischof von Magdeburg und Mainz, Albrecht von Brandenburg. Der war Hauptverursacher des extensiven Ablasshandels in Deutschland, gegen den sich Luther unter anderem mit seinen 95 Thesen erhob und damit die Reformation auslöste.

Albrecht hatte seine Residenz in Halle und wollte ein repräsentatives Gotteshaus bauen. Daher beschloss er mit einigen katholischen Ratsherren der Stadt, zwei direkt nebeneinander stehende Kirchen zu einer neuen Kirche zusammenzubauen. Doch noch während des Baus hielt die Reformation in Halle Einzug. Albrecht musste zudem aus wirtschaftlichen Gründen die Stadt verlassen, und so wurde das katholische Bauprojekt in kürzester Zeit zu einer der ersten neugebauten evangelischen Kirchen in Deutschland. Sie gilt bis heute als eines der bedeutendsten Zeugnisse der Spätgotik und Frührenaissance hierzulande.

Luther hat die Fertigstellung der Marktkirche nicht mehr miterlebt. Allerdings wurde sein Leichnam 1546 hier aufgebahrt auf dem Weg von Eisleben, wo er gestorben war, nach Wittenberg, wo er seine letzte Ruhe in der dortigen Schlosskirche fand. Von der Schlosskirche heißt es wiederum, dass Luther 1517 von hier seine 95 Thesen verbreitet hat und zwar am Tag vor dem Allerheiligenfest, dem Patronat der Wittenberger Schlosskirche, an dem in der katholischen Kirche die „communio sanctorum“, die Gemeinschaft der Heiligen gefeiert wird. Luther, der medial und kommunikativ sehr geschickt war, hat den Vorabend von Allerheiligen als Datum der Veröffentlichung der Thesen sicherlich bewusst gewählt, um dem katholischen Heiligenkult entgegenzutreten. Immerhin barg die Schlosskirche in Wittenberg einen der größten Reliquienschätze nördlich der Alpen. Und Reliquien, also die Knochen und andere Überbleibsel der Heiligen, galten in katholischer Hinsicht als ein Unterpfand für den Ablass, also für den Erlass zeitlicher Strafen für begangene Sünden. Verrückt ist nur, dass der Eigentümer des Schlosses und der Schlosskirche mit den Heiligenreliquien, Friedrich der Weise, immer seine schützende Hand über Luther gehalten hat, was Luther auch sehr geholfen hat. Welche Verbindungen tun sich auch hier wieder auf zwischen Luther und der katholischen Kirche angesichts der gleichzeitigen Gegensätze?

Daran muss ich jedenfalls denken, wenn in wenigen Tagen wieder auf das protestantische Reformationsfest am 31. Oktober das katholische Allerheiligenfest am 1. November folgt. Welche Nähe zeigt sich hier und zugleich welche Trennung, die nun schon über 500 Jahre dauert. Bei aller Annäherung zwischen der evangelischen und der katholischen Konfession ist dabei das Thema der Heiligenverehrung eher ein Nebenschauplatz ökumenischer Theologie.

Vielleicht kann allerdings das Medaillon in der Marktkirche von Halle mit seiner Unterschrift eine Perspektive eröffnen, wenn vom Heiligen Martin Luther die Rede ist. Wie wäre es, wenn man die Vorstellung der „communio sanctorum“ nicht versteht als die Gemeinschaft der Heiligen, sondern, wie es der bereits verstorbene katholische Pastoraltheologe Walter Fürst einmal formuliert hat, als die Gemeinschaft der zu Heiligenden. Das klingt vielleicht etwas spitzfindig, aber es eröffnet eine neue Perspektive – auch für die Ökumene: Denn nach dieser Vorstellung geht es nicht mehr um das Feststellen einer Heiligkeit, sondern um das Streben nach ihr. So jedenfalls hat dies auch schon der Apostel Paulus einmal formuliert, als er der Gemeinde in Thessalonich schrieb (1 Thess 4,7): „Denn Gott hat uns … dazu berufen, … heilig zu sein.“ Und diesem Ruf zu folgen, steht allen gut an, damals zur Zeit Luthers wie heute, katholischen wie evangelischen Christen.

 

Philipp Reichling OPraem | Ordenspriester und Rundfunkbeauftragter
Bild: Nicole Cronauge

Pater Dr. Philipp Reichling OPraem ist Ordenspriester und Rundfunkbeauftragter der Katholischen Kirche beim WDR.