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Der Volkstribun

27. September 2006

Er galt als ewiger Verlierer, dann war er strahlender Sieger und später schien er politisch bankrott zu sein. Trotzdem kann Lula da Silva bei den brasilianischen Präsidentschaftswahlen mit einem Sieg rechnen.

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Luiz Inacio Lula da Silva hält vor einem riesigen Porträt von ihm eine Rede
Luiz Inacio Lula da Silva im WahlkampfBild: AP
Lula umringt von Anhänger, ungezählte Arme werden ihm entgegengestreckt
Für Brasiliens Arme war Lula da Silva ein HoffnungsträgerBild: AP

Korruptionsaffären lasten schwer auf dem Image des brasilianischen Präsidenten als sauberem Reformpolitiker. Und nicht wenige linke Anhänger haben sich enttäuscht von seinem liberalen Wirtschaftskurs abgewendet.

Ein neuer Bestechungsskandal, der kurz vor den Wahlen ans Licht kam, hat an der der Popularität des 60-Jährigen gekratzt. Und so verfehlte er im ersten Wahlgang am Sonntag (1.10.) zwar die absolute Mehrheit, wurde aber dennoch stärkster Kandidat. Wie es aussieht, wird sich der einstige Gewerkschaftsführer bei den Stichwahlen Ende Oktober gegen den Herausforderer, den konservativen Sozialdemokraten Geraldo Alckmin, durchsetzen.

Der Präsident aller Brasilianer?

Nach seinem Wahlsieg im Dezember 2002 hatte er in einer Fernsehansprache erklärt, er werde ab Januar "Präsident aller 175 Millionen Brasilianer" sein. Er wolle die ganze Gesellschaft auffordern, beim Bau eines "gerechteren, brüderlichen und solidarischen Landes" mitzumachen. Vor allem die Armen in Brasilien hatten seinen Einzug in das Präsidentenamt bejubelt.

Kindheit in Armut

Lula kennt Armut aus eigener Erfahrung. Er ist das jüngste von acht Kindern einer Bauernfamilie; seine Eltern waren Analphabeten. Um dem Elend zu entkommen, zog seine Mutter mit den Kindern Anfang der 1950er Jahre vom Nordosten in den industrialisierteren Süden. In Santos traf die Familie auf den schon früher abgewanderten Vater Aristides, doch war dieser mittlerweile erneut verheiratet, so dass sie nach Sao Paulo weiterzog. Lula lernte erst im Alter von zehn Jahren Lesen und Schreiben. Er musste mit Gelegenheitsarbeiten wie Schuhputzen und Obstverkaufen zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Als Zwölfjähriger fing er als Bürojunge bei einer Farbenfabrik an und wurde später beim Schraubenhersteller "Parafusos Marte" zum Werkzeugmacher ausgebildet. Seinem Portugiesisch ist bis heute anzuhören, dass er aus einfachen Verhältnissen stammt. Der Hoffnungsträger der Armen weiß, dass seine Herkunft sein größter politischer Trumpf ist.

Ab 1968 arbeitete Lula als Metallarbeiter. Der schon früh aktive Gewerkschafter war von 1975 bis 1980 Metallarbeitervorsitzender im Industriegürtel von Sao Paulo und als Streikorganisator während der Militärdiktatur mehrmals inhaftiert. Wegen seiner Unzufriedenheit mit der alten Linken rief er 1980 zur Gründung der Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT) auf, in der er schließlich auch den Vorsitz übernahm. Die PT stützte sich auf eine Koalition aus der "Neuen Linken", aus Kräften des militärischen Widerstands gegen die Diktatur, progressiven Katholiken und der Mehrheit der Führer der neu entstandenen Gewerkschaften. 1989 kandidierte er erstmals als Präsident, nach zwei weiteren vergeblichen Anläufen bei den Präsidentschaftswahlen 1994 und 1998 haftete ihm zunächst das Image des ewigen Verlierers an.

Populär trotz schwarzer Kassen

Nach seinem Wahlsieg im Oktober 2002 erhofften sich die Armen des Landes eine gerechtere Verteilung der Reichtümer des Landes. Erfüllen konnte Lula diese Erwartungen nur teilweise. So bekommen mehr als zehn Millionen arme Familien inzwischen staatliche Hilfsgelder. Auch der Mindestlohn wurde auf Betreiben des neuen Staatschefs erhöht. Dennoch bleibt Brasilien, das größte Land Lateinamerikas, einer der Staaten mit der größten sozialen Ungleichheit. Von der florierenden Wirtschaft profitiert nur ein Teil der Bevölkerung.

Als seine Glaubwürdigkeit als Volkstribun wegen schwarzer Kassen und Bestechungsaffären in seiner Arbeiterpartei ernsthaft in Gefahr geriet, zog Lula im August 2005 die Reißleine und bat das Volk öffentlich um Verzeihung. Er scheute nicht davor zurück, auch enge Mitarbeiter zu feuern, um sich von deren Verfehlungen abzugrenzen. Dank dieser konsequenten Linie überstand Lula auch die jüngsten Skandale.

Populärer denn je

Anfang 2006 hungerte sich Lula gegen die Empfehlung seines Leibarztes mit einer drastischen Diät 15 Kilogramm Körpergewicht ab. Sein Gesicht wirkt nun glatter und weniger streng als früher - allerdings soll eine Injektion Botox nachgeholfen haben, munkelt die Boulevardpresse. Mit der neu gewonnenen Fitness stürzte sich Lula vorzeitig in einen ausgedehnten Wahlkampf.

"Ich habe drei Wahlen verloren, weil das Volk Angst vor mir hatte", sagte Lula im Wahlkampf. "Es hat nicht an jemanden geglaubt, der so war wie es selbst. Jetzt gewinne ich, weil das Volk entdeckt hat, dass jemand aus seiner Mitte mehr erreichen kann als ein anderer." (stu)