London und der Welthandel nach dem Brexit
28. Februar 2018Lösung 1: UK und EU in einer Zollunion
Oppositionsführer Jeremy Corbyn hatte es Anfang der Woche gefordert, und eine Reihe von konservativen Abgeordneten in Westminster unterstützen ihn: Großbritannien sollte mit der EU eine neue Zollunion bilden. Wie viel Spielraum für Veränderungen der Regeln im Detail da möglich wäre, ist offen. Aber im Prinzip könnten die Briten am 29. März 2019 mit dem Brexit die Zollunion verlassen und am 1. April wieder eintreten.
Vorbild dafür wäre das Abkommen mit der Türkei, dem einzigen größeren Nicht-EU-Land, das Mitglied in einer Zollunion mit der EU ist. Entscheidet sich London für diese Lösung, würden alle geltenden Abkommen mit Drittländern wirksam bleiben. Die EU-Kommission wäre weiter zuständig für Handelsabkommen und das Königreich würde automatisch in künftige Verträge einbezogen.
Es gibt allerdings Nachteile: Als Nicht-EU-Mitglied hätten die Briten kein Mitspracherecht, sondern würden lediglich konsultiert. Werden neue Abkommen etwa mit den USA abgeschlossen, besteht die Gefahr, dass zwar der britische Markt dann für bestimmte US-Waren geöffnet würde, das aber nicht automatisch umgekehrt gilt. Das heißt: Großbritannien würde als Nicht-EU-Mitglied nicht automatisch an den Vorzügen teilnehmen, sondern müsste jeweils einen eigenen Zusatz-Vertrag abschließen.
Und die Zollunion allein sorgt nicht für reibungslosen Grenzverkehr: Britische Ausfuhren müssten eine Menge Export-Formulare, Versicherungen und Transportgenehmigungen mitführen. Die schnellen Lieferketten etwa in der Autoindustrie zwischen Nordfrankreich, Deutschland und dem Königreich wären am Ende. Einen offenen Grenzverkehr für Waren aber hat die EU bisher nur für Länder zugelassen, die auch die Freizügigkeit von Personen zulassen.
Für Drittländer würde sich in diesem Fall wenig ändern: Sie würden weiterhin der EU als Partner gegenüberstehen. Großbritannien könnte zum Beispiel nicht von sich aus etwa die Zölle für Agrarprodukte aus einzelnen afrikanischen Ländern senken.
Lösung 2: UK und EU nur im Binnenmarkt verbunden
Entscheidet sich Großbritannien für eine Lösung nach dem Muster Norwegens, würde es im Binnenmarkt bleiben und die Zollunion verlassen. Dann wäre London frei, um mit Drittländern eigene Handelsabkommen abzuschließen. Die Frage ist aber, wie vorteilhaft diese wären. Eine Untersuchung der Universität Oslo hat ergeben, dass die norwegischen Abkommen weniger umfassend sind als die der EU, denn einzelne Länder haben weniger Verhandlungsmacht als der große Block der Europäer.
Der Verbleib im Binnenmarkt würde außerdem bedeuten, dass Großbritannien weiter die vier Freiheiten achten muss: der freie Fluss von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Bürgern. Die Probleme der britischen Regierung mit der Zukunft des Finanzmarkts wären in diesem Fall gelöst. Allerdings gibt es eine Menge Nachteile: Der finanzielle Beitrag für den Binnenmarkt ist fast so teuer wie die EU-Mitgliedschaft. Und London hätte keine Stimme in Brüssel, müsste aber die EU-Regeln beachten - eine Situation, die britische Brexit-Befürworter scharf ablehnen.
Lösung 3: Harter Brexit und Singapur an der Themse
Wenn Großbritannien alle EU-Institutionen komplett verlässt, kann es wirtschaftlich tun und lassen, was es will. Handelsverträge werden dann nur noch von den Regeln der Welthandelsorganisation WTO bestimmt. Allerdings müsste das Königreich seinen Status in der WTO neu definieren, da es alle Quoten und Vereinbarungen aus der EU-Mitgliedschaft verlieren würde. Da bietet sich schon der erste Hebel für Drittländer, den Briten gewisse Zugeständnisse abzufordern.
Außerdem müsste London alle existierenden Handelsverträge der EU für sich neu abschließen - mit insgesamt 73 Drittländern. "Grandfathering" wird dieser Prozess genannt. An diesem Punkt jedoch können diese Länder ihre Wünsche für neue Konditionen durchsetzen. Brasilien, Südkorea und andere haben sich schon zu Wort gemeldet.
Sollte Großbritannien, wie von einigen Anhängern eines harten Brexit gefordert, der Welt die Tore für zollfreie Importe öffnen, wäre das das Ende für britische Bauern und den größten Teil der produzierenden Industrie. In dem Fall könnten billige Güter aus aller Welt nach Großbritannien strömen. Im Gegenzug wollen die Brexiteers dann drastisch die Unternehmenssteuern senken und andere Regeln etwa bei Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten reduzieren. Das hieße: Das Königreich würde der EU durch Unterbieten aller Standards Wettbewerb machen und sich zu einer Art Singapur an der Themse entwickeln.
Welche sozialen oder ökonomischen Kosten ein solcher Plan allerdings für Großbritannien hätte, ist offen, ebenso, was die Bevölkerung dazu sagen würde.
Lösung 4: Maßgeschneidertes, besonderes Verhältnis
Was London eigentlich möchte, ist eine maßgeschneiderte Lösung, die es Großbritannien erlaubt, alle EU-Institutionen zu verlassen, aber gleichzeitig gewisse Vorteile zu behalten. Theresa May nennt das den "Drei-Körbe"-Ansatz. In einigen Bereichen würde man EU-Recht beibehalten, in anderen völlig abweichen und in einem dritten Sektor neue gemeinsame Regelungen schaffen. Die EU nennt das "Rosinen-Picken", und die Chancen dafür gehen gegen Null.
Die Briten stellen sich hier etwa einen gesonderten Zugang zum Finanzmarkt vor, gleichzeitig aber den Stopp für den Zuzug von EU-Arbeitnehmern. Darüber hinaus will London freie Handelsabkommen abschließen dürfen und reibungslosen Grenzverkehr mit Europa betreiben. Hier gilt, dass es keine Quadratur des Kreises geben wird. Bestimmte Sondervereinbarungen mit London sind denkbar, aber die "Kuchen-Philosophie", wonach die Brexit-Unterstützer ihn haben und essen, also das Beste von beiden Welten wollen, lehnt die EU strikt ab.