Literaturnobelpreis: Ungewisse Zukunft
10. April 2018"I'm leaving the table, I'm out of the game." Mit diesen Worten des Singer-Songwriters Leonard Cohen verabschiedete sich vergangenen Freitag der Schriftsteller Klas Östergren aus der Schwedischen Akademie, die alljährlich die höchste Literaturauszeichnung vergibt. Das Problem: Die Akademie-Mitglieder Kjell Espmark und Peter Englund taten es ihm gleich, sodass nun die Handlungsfähigkeit des Gremiums gefährdet ist. So sind von den 18 Sitzen, die die Akademie hält, nur noch 13 besetzt, denn bereits vor mehreren Jahren zogen sich zwei andere Mitglieder aufgrund von Streitigkeiten aus der Akademiearbeit zurück. Ein weiteres Mitglied, die Autorin Sara Stridsberg, ließ am Wochenende verlauten, sie ziehe es ebenfalls in Erwägung, nicht weiterhin an den Sitzungen der Akademie teilzunehmen. Das hätte zur Folge, dass die Akademie mit ihren verbleibenden zwölf aktiven Mitgliedern nicht mehr beschlussfähig wäre.
Was war passiert?
Im Zentrum der Streitigkeiten stehen die Schriftstellerin Katarina Frostenson und deren Mann, der Fotograf Jean-Claude Arnault, der in Schweden - gerade auch durch die Ehe zu Akademie-Mitglied Frostenson - zu den einflussreichsten Funktionären im Kulturbetrieb zählt. Aufgrund mehrerer Vorwürfe sollte Frostenson in einer Sitzung am vergangenen Donnerstag aus der Akademie ausgeschlossen werden.
Was genau die drei Mitglieder zu ihrem Austritt aus der Akademie veranlasst hat, erfahren wir nicht, man sei zur Verschwiegenheit verpflichtet. Espmark kommentierte das gescheiterte Ausschlussverfahren von Frostenson aus der Akademie jedoch mit den Worten "Freundschaft wurde vor Integrität gestellt", womit eigentlich klar sein dürfte, was ihn - und wahrscheinlich auch die beiden anderen Abtrünnigen - zu ihrer Entscheidung bewogen haben dürfte.
Frostenson, die seit 1992 in der Schwedischen Akademie sitzt und damit über die Vergabe des Literaturnobelpreises mitbestimmt, werden zahlreiche Vergehen vorgeworfen. So soll sie ihrem Mann, der Schweigepflicht zum Trotz, die Namen künftiger Nobelpreisträger verraten haben. Außerdem kam heraus, dass sie Teilhaberin des privaten kommerziellen Kunstclubs ihres Mannes war, der regelmäßig finanzielle Unterstützung von der Schwedischen Akademie erhielt und die 65-Jährige damit über Zuwendungen an sich selbst entschied. In dem Club selbst soll es zudem zu schwerwiegenden rechtlichen Vergehen gekommen sein, wie etwa dem illegalen Ausschank von Alkohol oder Steuerhinterziehung. Ein von der Schwedischen Akademie beauftragtes Anwaltsbüro riet, den Club anzuzeigen.
Vorwürfe sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung
Und weil all das noch nicht genug zu sein scheint, um die bis dato angesehene Nobelpreis-Akademie in Verruf zu bringen, wurden im November vergangenen Jahres im Zuge der #MeToo-Debatte auch noch Vorwürfe der sexuellen Belästigung laut. Insgesamt 18 Frauen berichteten der Schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter", wie sie von Katarina Frostensons Ehemann belästigt und in einem Fall sogar vergewaltigt worden seien. Vor allem in der von der Akademie mitfinanzierten Kulturstätte Arnaults sollen einige der Übergriffe stattgefunden haben, aber auch in Wohnungen in Stockholm und Paris, die ihm von der Akademie zur Verfügung gestellt worden sind. Die Opfer, darunter angehende Schriftstellerinnen und ehemalige Mitarbeiterinnen des Kunstclubs, soll Arnault dabei gezielt mit Verweis auf seine Nähe zu der Akademie unter Druck gesetzt haben. Er selbst wies sämtliche Vorwürfe von sich.Wie geht die Schwedische Akademie damit um?
Nach Beginn des Skandals beauftragte die Ständige Sekretärin Sara Danius ein Anwaltsbüro, das den Vorwürfen der persönlichen Vorteilsnahme nachgehen sollte. Die meisten Vorwürfe gegenüber Arnault, die einen Zeitraum von 21 Jahren umfassen, erwiesen sich als nicht justitiabel. Der Frage nach der Veruntreuung von Geldern wird derzeit noch nachgegangen. Laut der Nachrichtenagentur DPA sei Ende der Woche mit Ergebnissen zu rechnen.Vergangenen Donnerstag stimmte die Schwedische Akademie dann über den Ausschluss ihres in die Kritik geratenen Mitglieds Katarina Frostenson ab. Die hierfür nötige Zweidrittelmehrheit wurde allerdings nicht erreicht, woraufhin tags darauf Klas Östergren, Kjell Espmark und Peter Englund ihre Arbeit in der Akademie niederlegten. "Das ist sehr bedauerlich, aber ich verstehe ihre Entscheidung", kommentierte Danius im "Svenska Dagbladet". Auch sie selbst hatte für Frostensons Ausschluss plädiert.
Wie geht es jetzt weiter?
Die drei Akademiemitglieder Englund, Espmark und Östergren haben nach eigener Aussage zwar ihre Sitze abgegeben, doch ist das laut Statuten eigentlich nicht möglich. Wer einmal in die Akademie gewählt wurde, bleibt Mitglied auf Lebenszeit und kann lediglich entscheiden, nicht mehr an den Sitzungen teilzunehmen. Doch könnte es sein, dass sich das bald ändert. Sara Danius kündigte an, man werde prüfen, ob es künftig erlaubt sein könnte, seinen Sitz abzugeben. "Wenn ein Mitglied aus der Akademie ausscheiden möchte, sollte das möglich sein."
Indes ist die Handlungsfähigkeit dieses wichtigen Gremiums gefährdet. Sollte sich mit Sara Stridsberg ein weiteres Akademie-Mitglied zum Rückzug entscheiden, wäre die Akademie nicht mehr beschlussfähig. Zieht sich Frostenson doch noch freiwillig zurück, könnte es wiederum sein, dass Englund, Espmark und Östergren ihre Entscheidung überdenken.
Gemeinsam mit dem schwedischen König Carl Gustav XVI., als dem hohen Beschützer der Akademie, muss Sara Danius in den kommenden Tagen einen Weg aus der Krise finden. Dieser nannte die Geschehnisse "eine traurige Entwicklung". Er sei aber zuversichtlich, dass die Probleme der Akademie "früher oder später gelöst" würden.