Literatur in Israel
19. Dezember 2013"Meine Bücher sollen in erster Linie unterhalten", sagt der israelische Autor Assaf Gavron. Damit irriert dieser leicht verschmitzt lächelnde Mittvierziger erst einmal. Denn für Unterhaltung gäbe es wahrlich leichtere Themen. Selbstmordattentate, Ressourcenkampf, israelische Besatzung - der politisch links orientierte Tel Aviver fängt da an zu schreiben, wo die meisten seiner Landsleute aufhören. Mit seinem jüngsten Roman "Auf fremdem Land", der im September auf Deutsch erschienen ist, überschreitet er eine weitere "rote Linie": Das Buch spielt in weiten Teilen in einem illegalen Outpost. "Ma'alah Chermech 3" heißt die zunächst provisorische Containersiedlung. Sie ist der Ableger einer seit Jahrzehnten bestehenden Siedlung in den Hügeln der Westbank - diesem biblischen Landstrich westlich des Jordans, der zum Territorium eines Palästinenserstaats werden soll.
Der Outpost liegt halb in einem Naturschutzgebiet, teils auf dem benachbarten Grund eines palästinensischen Dorfes, teils in der militärischen Sicherheitszone. Die kleine Ansammlung von Wohnwagen ist Zufluchtsort für Familien, Singles, russische Einwanderer, alle mit unterschiedlichen Beweggründen, aber in Aufbruchsstimmung. Die Siedlungsgründer folgen einem vom Zionismus beseeltem Pioniergeist, Landnahme im Dienste eines göttlichen Auftrags inklusive. Da wundert es nicht, dass sie sich nicht an die in ihren Augen profanen Gesetze des Staates Israel gebunden fühlen. Eine Art Wildwest-Mentalität - und genau die hat den Autor interessiert.
"Meine Romane sind kein politisches Manifest"
"Diesen Pioniergeist gibt es sonst nirgendwo mehr in Israel", erklärt Gavron und vergleicht die Siedler mit den zionistischen Kibbuzniks aus den Anfängen Palästinas. Doch der Pioniergeist rechtfertige nicht die Landnahme auf palästinensischem Gebiet. Selbst wenn die innere Haltung der Siedler der der Kibbuzim-Bewegung in gewisser Weise ähnele. Aus seiner persönlichen Haltung zur israelischen Siedlungspolitik macht Assaf Gavron keinen Hehl: Er sieht darin das Haupthindernis auf dem Weg zu einer Friedenslösung. Doch ein Roman sei eben kein politisches Pamphlet, wehrt der Autor den Verdacht eines Sympathisantentums mit den Siedlern ab. Das Buch ist so komplex wie die Wirklichkeit und die wollte er selbst erfahren. Zwei Jahre war Gavron deshalb in der Westbank unterwegs, hat mit Siedlern gesprochen, mit ihnen in einem kleinen Outpost gelebt und auch Freunde gefunden.
Diese Binnensicht macht den Roman glaubwürdig. Es gibt eben nicht die "bösen Siedler" und die "unterdrückten Palästinenser", sondern erstaunliche Koalitionen beider Parteien. Plötzlich finden sie sich im Widerstand zu der von der israelischen Regierung geplanten Mauer, die quer durch die neue Siedlung gehen soll und auch die palästinensischen Olivenhaine zerstören würde, vereint. Gavrons Buch zeigt die menschliche Dimension im großen israelisch-palästinensischen und säkular-religiösen Konflikt. Er beschreibt Überlebensstrategien, Mauscheleien der israelischen Bürokraten und Politiker, die die Siedler geschickt für sich nutzen und damit eine Räumung der Siedlung immer wieder verhindern. Er blickt aber auch hinter die festgefahrenen Fronten, beschreibt die persönlichen und geschäftlichen Interessen der Siedler und ihrer arabischen Nachbarn.
Absurdistan in der Westbank
Da ist Roni, der sich nach steiler Karriere als Investmentbanker in den USA und anschließendem Crash vor seinen Gläubigern zu seinem inzwischen religiösen Bruder in die Siedlung flüchtet. Wenn dieser Roni einen Handel mit "nach alter Tradition hergestelltem" palästinensischen Olivenöl plant und die Japaner ihm mit ihrer neuesten Technik das Geschäft vor der Nase wegschnappen, dann ist das nicht ohne Ironie. "Humor ist in allen meinen Büchern wichtig", sagt Gavron. Auch, wenn dieser ans Absurde grenze. Da gibt es einen palästinensischen Hund, der in der Siedlung landet, eine tragisch-komische Liebesbeziehung zwischen einer jungen Frau und einem israelischen Soldaten. Und die "ultimative Räumung" der Siedlung, die dann zwar doch nicht passiert, aber genau zum jüdischen Purimfest geplant wird, zu dem sich alle verkleiden. Plötzlich stehen also als "Michael Jackson" und "Pippi" kostümierte Siedler den Räumfahrzeugen der israelischen Armee gegenüber.
Viele hätten ihm abgeraten, über ein so brisantes Thema zu schreiben, sagt der Autor. Kurz nachdem der Roman auf Deutsch veröffentlicht wurde, hatte Ministerpräsident Netanjahu eine erneute Siedlungsoffensive verkündigt, die er dann nach internationalen Protesten wieder zurückgezogen hat. Umso erstaunlicher, dass das Buch in Israel so einen großen Erfolg hat, quer durch die politischen Lager. Im Oktober gewann Gavron einen der wichtigsten israelischen Literaturpreise, den Bernstein-Preis. Natürlich gab es auch Kritik und Vorbehalte. Manche Linke wollten das Buch nicht lesen, weil sie prinzipiell nichts über Siedler lesen, und manche Rechte waren voreingenommen, weil sie Gavron als "Linken" kennen. "Wenn jeder mein Buch mögen würde, hätte ich etwas falsch gemacht", meint er mit seinem leicht ironischen Lächeln. Aber natürlich freut es ihn, dass er die "Fronten" durchbricht, dass in der Preis-Jury sowohl ein linker Professor als auch ein rechter Hardliner für ihn gestimmt haben. Dieser Mut, sich auf seine Themen, auf die Menschen einzulassen ohne politisches Kalkül, macht Gavron zu einem Ausnahmeschriftsteller in Israel. Ihn treibt die Neugierde zum Querdenken.
In Zukunft auch auf Arabisch?
Gavron ist auch Musiker, Übersetzer, hat an einem Video-Spiel zum Nahost-Konflikt mitgearbeitet. In "Peacemaker" können die Spieler ihre politischen Positionen wählen, sich zwischen Friedensaktivisten, Siedlern, Terroristen, Politikern entscheiden. Das Spiel wurde sowohl in Israel als auch in Palästina in Schulen eingesetzt. Dass seine Bücher bislang nicht ins Arabische übersetzt wurden, findet Gavron schade. Vielleicht gibt es eine Chance, sollte er 2014 den renommierten israelischen Sapir-Literaturpreis gewinnen. Für die Shortlist ist er jedenfalls nominiert und auf den Gewinner wartet eine Arabisch-Übersetzung. "Das wäre toll", sagt Gavron. Ein arabisches Exemplar von "Auf fremden Land". Ob und wie das in der Westbank ankommen würde, interessiert ihn wirklich.