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Lichtschranke statt Augenmaß

17. September 2005

Tor oder nicht Tor - eine Frage, die Deutsche und Engländer seit fast 40 Jahren entzweit. Bei der WM 2006 dürfte sich so ein Problem nicht mehr stellen: Die FIFA experimentiert mit einem Chip-Ball.

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Jeder Deutsche weiß: Nicht drin. Wembley Tor 1966Bild: AP

Die Technik ähnelt einer Lichtschranke: Der mit einem 15 Millimeter kleinen Chip ausgestattete Ball sendet bei Überquerung der Tor- oder Seitenlinie Signale an die um das Spielfeld postierten zwölf Antennen. Nicht mal eine Sekunde dauert es, bis der Schiedsrichter über eine Art Armbanduhr am Handgelenk informiert wird, ob der Ball mit der vorgeschriebenen vollen Umdrehung die Linie überschritten hat oder eben nicht. Dabei werden von dem Chip und den Antennen bis zu 2000 Signale pro Sekunde verarbeitet.

"Wir werden die Technologie nutzen"

Zukunftsmusik? Nein. Bei der momentan in Peru stattfindenden U17-Weltmeisterschaft (16.9. - 2.10.) wird der "Smartball" unter Wettkampfbedingungen getestet. "Wir werden die Technologie bei der WM in Deutschland nutzen, wenn alles reibungslos abläuft", kündigte Fifa-Präsident Joseph Blatter an. Dabei soll der vom Sportartikelhersteller adidas sowie der Firma Cairos AG und dem deutschen Fraunhofer-Institut entwickelte Ball nicht nur Aufschluss über strittige Torszenen geben, sondern auch im Bereich der Seitenlinien verwendet werden. Umstrittene Einwurf- oder Eckballentscheidungen sollen damit ebenfalls der Vergangenheit angehören.

Damit Computer-Hacker die Ergebnisse nicht beeinflussen können, sind alle versendeten Informationen des Chips doppelt und dreifach verschlüsselt. Auch Radios und Handys sollen die Technik nicht beeinflussen können, betonte FIFA-Generalsekretär Urs Linsi.

Entscheidung im Frühjahr

Die Entscheidungsmacht liege aber weiterhin bei den Unparteiischen, stellte Blatter klar: "Der Schiedsrichter ist der Chef auf dem Platz. Daran ändert sich nichts. Der Smartball soll lediglich eine Hilfe sein." Der Referee müsse dabei die Technik nur zur Hilfe nehmen, wenn er sich nicht sicher sei.

Das letzte Wort bezüglich der Einführung hat schließlich das International Board der FIFA als oberste Regel-Instanz im Weltfußball. Die einzige Institution im Fußball, die über die Änderung von Spielregeln befindet, trifft sich einmal jährlich im Frühjahr.

Fußball-WM 1966: Das dritte Tor von Wembley
Fußball-WM 1966: Das dritte Tor von Wembley In der Verlängerung des Fußball-WM-Endspiels England - Bundesrepublik Deutschland am 30.07.1966 im Londoner Wembley-Stadion fällt das umstrittene dritte Tor. Der englische Stürmer Geoff Hurst (r) knallt den Ball unter die Latte, der deutsche Torhüter Hans Tilkowski (l) kommt nicht an das Leder, dem der deutsche Abwehrspieler Willi Schulz (M) bei seinem Flug nachschaut. Es wird nach Befragen des russischen Linienrichters schließlich auf Tor entschieden. England geht mit 3:2 in Führung und gewinnt am Ende mit 4:2 und damit den Weltmeistertitel.Bild: dpa

Und die Regel-Romantiker? Sie trauern jetzt schon. Sogar Deutsche, die beim korrekt nicht-gegebenen Tor 1966 wahrscheinlich Weltmeister geworden wären. Franz Beckenbauer überkommt bereits ein wenig Wehmut. "In der Frage Tor oder kein Tor kann der Chip-Ball wirklich helfen. Aber ich war ja 1966 selbst in Wembley dabei. Und wenn ich heute nach London fliege, werde ich immer noch garantiert auf das Wembley-Tor angesprochen. Das macht doch auch die Faszination des Fußballs aus", sinnierte der Chef des WM-Organisationskomitees über die möglichen Auswirkungen technischer Hilfsmittel auf höchstem Niveau. (sams)