Libyschen Rebellen uneins
25. August 2011Wenn das Gaddafi-Regime fällt, werden die Bemühungen um Ruhe, Sicherheit und Stabilität weitergehen. Für Frieden zu sorgen, könnte für den Nationalen Übergangsrat der Rebellen genauso schwer werden, wie den Krieg zu gewinnen.
Aufgrund von lang gehegtem Misstrauen und Streit um die künftige Machtverteilung könnte die lose verbundene Rebellen-Allianz zerbrechen. Es gibt sogar Befürchtungen, dass aus Freudenschüssen Gewaltausbrüche werden, wenn es darum geht, die Kontrolle über das Erbe der Gaddafi-Ära zu bekommen.
Der Nationale Übergangsrat, der bereits von 32 Ländern als alleinige Vertretung Libyens anerkannt wurde, hat nach wie vor kein neues Kabinett gebildet. Die letzte Regierungsmannschaft wurde vom Vorsitzenden des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, aufgelöst, nachdem die Ermittlungen nach dem Mord an Rebellenkommandeur Abdulfattah Junis im Juli zu keinem Ergebnis geführt hatten.
Mord an Junis hat Gräben vertieft
Junis war aus dem engsten Führungszirkel um Gaddafi zu den Rebellen übergelaufen. Sein mysteriöser Tod sorgte für einen tiefen Riss in der ohnehin schon zerfaserten Rebellion. Rivalisierende Gruppen beschuldigten sich gegenseitig des Mordes, und Dschalil blockte alle Fragen nach einer möglichen Verstrickung seiner Regierung in dieser Sache ab.
"Die Rebellen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Solche, die einst Gaddafi dienten und dann übergelaufen sind und solche, die nie Teil des Regimes waren", sagt Kristian Ulrichsen, Nordafrika- und Nahost-Experte an der London School of Economics. Nach dem Anschlag auf Junis sei offenkundig geworden, wie groß das Zerwürfnis zwischen diesen beiden Gruppen ist.
Der Mord hat für zunehmende Verwirrung gesorgt, wer von wem Befehle entgegennimmt. Dabei hatten die chaotische Lage bei Einsätzen und eine ineffiziente Kommandostruktur schon zuvor viele Offensiven der Rebellen beeinträchtigt. Das Ganze hat außerdem Zank und Schlammschlachten mit den rivalisierenden Gruppen verschärft, die den Übergangsrat nicht als Regierung aller Libyer anerkennen wollen.
Dies ist eines der Hauptprobleme, die auf den Nationalen Übergangsrat zukommen, wenn er die Macht übernimmt, sobald Gaddafi Geschichte sein wird. Während Dschalil den Rat gegenüber Bürgern und internationaler Staatgemeinschaft als einzige wahre Stimme Libyens präsentiert, zeigen sich Rebellen aus Misrata, der drittgrößten libyschen Stadt, und aus den Nafusa-Bergen damit nicht einverstanden.
Regionaler Streit um die Macht
Die Rebellen in Misrata sehen Dschalil und den Übergangsrat inzwischen so kritisch, was die militärische Organisation des Aufstandes angeht, dass sie Reportern gesagt haben, sie würden keine Befehle des Rates mehr befolgen.
Dschalils Machtbasis könnte zusätzlich geschwächt werden, weil die Rebellengruppen aus Misrata und den Nafusa-Bergen weitgehend ohne Hilfe der Aufständischen aus dem Osten über die strategisch wichtigen Städte Zawiya, Garjan und Zlitan in Tripolis einmarschiert waren.
Der Druck auf Dschalil durch die Führer der Rebellen aus Misrata und Nafusa könnte steigen, wenn diese eine wichtige Rolle in der künftigen Regierung fordern - als Belohnung für ihr Heldentum, die Hauptstadt erobert zu haben.
Außer Wünsche seiner Alliierten zu befriedigen, muss der Übergangsrat auch eine Gesellschaft besänftigen, die nach 42 Jahren brutaler Unterdrückung plötzlich frei sein wird. Und dabei gilt es, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. "Die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, ohne dass es zu Polizeiwillkür kommt und ohne der Versuchung zu erliegen, an Gaddafi-Anhängern Racheakte zu verüben, wird eine große Herausforderung sein", sagt Thorsten Brenner, der stellvertretende Direktor des Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin.
Es bestünde die Gefahr, so Brenner im Gespräch mit DW-WORLD.DE, dass eine neue Regierung die Öl-Einnahmen missbraucht, um eigene Anhänger zu versorgen, statt die gesamte Bevölkerung am Ertrag teilhaben zu lassen. Es bestehe außerdem die Versuchung, lieber Schauprozesse zu veranstalten, als allmählich eine unabhängige Justiz aufzubauen.
Zukunfts-Pläne für ein neues Libyen
Trotz aller Schwierigkeiten, was die künftige Regierungsbildung angeht, hat der Nationale Übergangsrat offenbar bereits Pläne für die Zeit direkt nach dem Ende des Gaddafi-Regimes: Der Rat will das Funktionieren öffentlicher Einrichtungen sicherstellen. Außerdem arbeitet das Gremium an einer Roadmap, wie Libyen innerhalb von 20 Monaten in eine Demokratie verwandelt werden soll.
Dabei ist nicht nur geplant, die Führung innerhalb eines Monats von Bengasi nach Tripolis zu verlegen. Die Roadmap sieht auch vor, den Übergangsrat durch Mitglieder aus allen Teilen des Landes zu erweitern und spätestens acht Monate nach der Machtübernahme Wahlen für ein Übergangsparlament mit 200 Abgeordneten abzuhalten.
Sowohl in Libyen als auch in der internationalen Gemeinschaft gibt es Befürchtungen, dass der Übergangsrat so zerstritten ist, dass er sich nicht einmal darauf einigen kann, wer der neuen Führungsebene angehören soll, die die Umsetzung der Roadmap überwachen wird. Viele vertreten die Ansicht, das Dschalil es nicht schaffen wird, das Land zu einen, wenn er nicht einmal für Geschlossenheit in seiner eigenen Administration sorgen kann.
NATO befürchtet Machtvakuum
Es beunruhigt die Staatengemeinschaft, dass die Rebellen zwar den Krieg gewinnen, aber nicht das Vakuum füllen könnten, dass Gaddafi hinterlassen wird - und ähnliche Fehden und religiöse Auseinandersetzungen folgen könnten wie im Irak, nachdem Saddam Hussein gestürzt war. "Es besteht die Gefahr neuer Gewaltausbrüche", so Nordafrika-Experte Kristian Ulrichsen im Gespräch mit DW-WORLD.DE, "insbesondere wenn bestimmte, der neuen Regierung nahestehende Schichten, sich beim politischen Aufbau in der Nach-Gaddafi-Zeit ausgeschlossen fühlen."
In diesem Fall könnte die NATO sich in der Rolle sehen, die die USA andernorts spielen: Eine Militärmacht, die für das Ende eines Diktators verantwortlich ist, der in einem von ihr unterstützten Bürgerkrieg gestürzt wurde. Befürchtet wird, dass die NATO - wie in Afghanistan - in einen langen und schwierigen Einsatz hineingezogen werden könnte. "Die NATO darf sich in einem Bürgerkrieg nicht auf eine Seite stellen, so wie sie in Afghanistan dazu gezwungen wurde", sagt Kristian Ulrichsen von der London School of Economics. Die Lage in Afghanistan zeige, dass eine Parteinahme die Möglichkeit untergräbt, eine dauerhafte politische Schlichtung herbeizuführen. Man könne nur hoffen, dass die NATO dies in Libyen verhindere.
Nach Ansicht von Thorsten Brenner vom GPPI in Berlin ist es entscheidend, dass das Nordatlantische Bündnis nicht meint, für politische Stabilität sorgen zu können. Die NATO habe ein sehr eingeschränktes UN-Mandat in Libyen gehabt, das sie ständig übertreten habe. Nun sollte die Militär-Allianz ihr Engagement zurückfahren und beispielsweise der Afrikanischen Union und der EU die internationale Führung überlassen.
Am besten wäre es, so Brenner, wenn die Libyer ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen würden - mit Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft. Das Ausland könnte Hilfe beim Aufbau des Staates anbieten. "Aber wir sollten nicht erwarten, dass eine mit Öl-Reichtum gesegnete Regierung eine gute Zuhörerin ist."
Autor: Nick Amies
Redaktion: Rob Mudge / Arnd Riekmann