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Politik

Libanon: Virus, Armut, Hunger

Kersten Knipp | Alla Juma
28. April 2020

Die libanesische Regierung vermochte das Virus bislang weitgehend einzudämmen. Doch die strengen Schutzmaßnahmen treffen vor allem die Ärmsten und die Flüchtlinge. Sie sind wirtschaftlich und gesundheitlich gefährdet.

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Coronakrise im Libanon  Beirut
Syrische Flüchtlinge in einem Lager in der Bekaa-Ebene im LibanonBild: picture-alliance/dpa/M. Naamani

Noch sind die Folgen der Corona-Epidemie im Libanon überschaubar. 707 bestätigte Infektionen zählen die Forschenden der Johns-Hopkins-Universität derzeit (27.4.), 24 Infizierte sind gestorben.

Die überschaubaren Zahlen kann sich die Regierung als Erfolg anrechnen. Sie fährt bereits seit Wochen eine strikte Eindämmungs-Strategie. Am 9. März stellte sie den Betrieb des Parlaments ein. Wenige Tage später wurden zahlreiche Einrichtungen des öffentlichen Lebens geschlossen, ebenso auch Theater, Kinos, Konzertsäle. An den Schulen und Universitäten findet kein Unterricht mehr statt, die Restaurants und großen Einkaufspassagen machten ebenfalls dicht. Nachts herrscht Ausgangssperre. Die Regierung fordert die Bürger zudem auf, auch tagsüber zu Hause zu bleiben.

Doch die Pandemie trifft ein Land, dessen Bevölkerung zu großen Teilen unter hohem wirtschaftlichen Druck steht. Die Staatsverschuldung beträgt rund 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rund die Hälfte der Staatsausgaben ging 2019 in den Schuldendienst. Das Land hat mit Devisenengpässen zu kämpfen, einige Banken stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit ist durch die Pandemie noch einmal gestiegen und liegt jetzt bei mehr als 30 Prozent. Von den jungen Leuten sind mehr als 60 Prozent ohne Arbeit.

Gegen diese Missstände waren zahlreiche Libanesen im vergangenen Herbst auf die Straße gegangen. Sie demonstrierten gegen das konfessionell basierte Regierungssystem des Landes, aber auch gegen Korruption, Vetternwirtschaft und schlechte Lebensbedingungen.

"Wir verdienen kein Geld mehr"

Da sie nicht arbeiten könnten, sähen viele gefährdete Gruppen einer sich verschärfenden Armut entgegen, sagt Bujar Hoxha, bei der Hilfsorganisation CARE International verantwortlicher Direktor für das Libanon-Programm. Die Auswirkungen von COVID-19 endeten nicht mit der Eindämmung der Pandemie. "Die sekundären Folgen des Virus werden der Verlust von Arbeitsplätzen, der Zusammenbruch kleiner und mittlerer Unternehmen und eine Zunahme von Armut und Ernährungsunsicherheit für viele sein. Die Prognosen der offiziellen Statistiken gehen davon aus, dass im Jahr 2020 etwa 45 Prozent der libanesischen Bevölkerung in Armut und 22 Prozent in extremer Armut leben werden", so Hoxha gegenüber der DW.

Eine von CARE betreute Familie in Tripolis
Eine von CARE betreute Familie in TripolisBild: CARE/Paul Assaker

In dem Stadtteil Bab el-Tabbaneh von Tripolis unterstützt die Hilfsorganisation Menschen wie Fatima (Nachname der Redaktion bekannt). "Mein Mann war Metzger. Doch aufgrund zweier Unfälle kann er nicht mehr arbeiten", berichtet die 46 Jahre alte Mutter von fünf Kindern ihren Helfern. "Vor drei Jahren beschloss ich deshalb, Kebab-Sandwiches zu verkaufen, um die Familie zu ernähren. Manchmal habe ich bis zu 40.000 libanesische Lira (ca. 13 EUR, Anm. d- Red.) pro Tag verdient. Mein ältester Sohn halt auch mitgeholfen. Seit Beginn der Pandemie ist unser Kebap-Stand geschlossen. Wir haben seitdem kein Geld mehr verdient." 

Erste Infektionen in palästinensischem Flüchtlingslager

Vor wenigen Tagen (22. April) wurde der erste Infektionsfall in dem dicht besiedelten palästinensischen Flüchtlingslager Wavel bei Baalbek bekannt. Seitdem steht das Lager unter Quarantäne. Inzwischen sind vier weitere Menschen mit dem Virus infiziert. Damit vergrößert sich die Sorge, es könnten sich außer den seit über 70 Jahren im Land lebenden palästinensischen auch die syrischen Flüchtlinge infizieren. Fast eine Millionen Syrer suchen im Libanon Schutz vor dem Krieg in der Heimat. Ihre sanitäre Lage gilt als völlig unzureichend.

Libanon Coronavirus Corona-Krise
Überlebenswichtige Hilfe: Die Hilfsorganisation CARE verteilt in Tripolis Lebensmittel und HygieneartikelBild: CARE/Paul Assaker

"Eine unserer schlimmsten Befürchtungen ist die Ausbreitung des Virus in Flüchtlingslagern und unter Menschen, die in überfüllten Gebieten vielfältigen Risiken ausgesetzt sind", sagt Bujar Hoxha. Am meisten sorge er sich, dass sich das Virus in den überfüllten Lagern ausbreite. Dort leben außer den Flüchtlingen auch unterversorgte libanesische Gemeinschaften. "Das Konzept der 'sozialen Distanzierung' ist an solchen Orten einfach keine Option", so Hoxha. "Denn dort herrscht oft Wassermangel. Doch Wasser ist für Händewaschen und weitere Präventivmaßnahmen unverzichtbar."

"Unerträgliche Verhältnisse"

Zwar wurde bislang noch kein Infektionsfall in einem der syrischen Lager bekannt. Dennoch bereite man sich auf diesen Fall vor, sagte die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen im Libanon, Lisa Abou Khaled, in einem Pressegespräch. Derzeit arbeite man an einem Quarantäneplan. Auch würden Behandlungsstationen gebaut. Auf diese Weise solle das begrenzte Gesundheitssystem des Landes unterstützt werden.

Coronakrise im Libanon  Beirut
Kampf gegen das Virus: Desinfektionsmaßnahmen in Beirut nach einem COVID-19-FallBild: picture-alliance/dpa/A. Ghazzal

Das Land habe bereits zu Beginn des Jahres am Rande einer Katastrophe gestanden, analysiert Bujar Hoxha von CARE International. Die habe sich durch COVID-19 noch weiter verschärft. "So versuchten viele Menschen die Situation auf negative Wiese zu bewältigen. "So kommt es zu unerträglichen Verhältnissen wie etwa Kinderarbeit, häuslicher Gewalt und Kinderheirat. Die Zahl der Libanesen, Syrer und Palästinenser, die grundlegende Hilfe suchen, nimmt von Tag zu Tag zu. Das gilt auch für die Bereiche Gesundheit, Geld, Lebensunterhalt und psychosoziale Unterstützung."

Außergewöhnlicher Ramadan

CARE International konzentriert sich im Libanon zum einen auf Nothilfe-Programme. Dazu gehört etwa die Verteilung von Hygieneartikeln an die am stärksten gefährdeten Gemeinschaften. Auch versorgt die Hilfsorganisation die Menschen mit sauberem Wasser. Langfristig will CARE zur Unterstützung des Wiederaufbaus die sozioökonomische Entwicklung des Libanon fördern, indem die Organisation die wirtschaftliche Erholung der am stärksten gefährdeten Gemeinschaften unterstützt.

Derzeit begehen die Menschen den Fastenmonat Ramadan. Der wird dieses Jahr weitgehend im familiären Rahmen, ohne größere Zusammenkünfte gefeiert. Die Moscheen des Landes bleiben geschlossen. Die Pandemie hat das Land im Griff.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika