Vorratsdatenspeicherung
15. Dezember 2009Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist der Typ Politikerin, die klar Position bezieht, diese verteidigt und auch dann noch zu ihrer Überzeugung steht, wenn es schwierig wird. Von 1992 bis 1995 war sie schon einmal Justizministerin und auch damals ging es um die Überwachung von Privatpersonen durch den Staat, den sogenannten Großen Lauschangriff. Der erlaubt es Ermittlungsbehörden, Privatwohnungen zur Strafverfolgung zu verwanzen und abzuhören. Da die Unverletzlichkeit von Wohnungen in Deutschland im Grundgesetz verankert ist, musste die Verfassung entsprechend geändert werden.
Leutheusser-Schnarrenberger war immer gegen den Großen Lauschangriff. Als sich ihre Partei mehrheitlich dafür entschied, trat sie am 14.12.1995 als Justizministerin von ihrem Amt zurück.
Die Geschichte wiederholt sich nun in Teilen. Leutheusser-Schnarrenberger ist erneut Bundesjustizministerin und wieder geht es um ein Gesetz zur Überwachung von Privatpersonen. Mit der sogenannten Vorratsdatenspeicherung will die Bundesregierung Internetprovider verpflichten, die Telefon- und Internetverbindungen aller Nutzer für sechs Monate zu speichern. Damit sollen zum Beispiel Kinderporno-Tauschringe im Netz entdeckt und die Täter dingfest gemacht werden.
Jeder Zweite meidet intime Gespräche am Telefon
Doch vielen Bürgern geht diese Totalerfassung ihrer Onlinedaten zu weit. Viele Deutsche haben Angst, dass ihre Telefon- und Internetkontakte zu Eheberatungsstellen, Psychotherapeuten oder Drogenberatungsstellen erfasst werden. Nach einer Forsa-Umfrage meiden mehr als die Hälfte aller Deutschen intime Gespräche am Telefon, aus Angst abgehört zu werden. 35.000 Deutsche haben deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt.
Unter den Klägern ist auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Juristin argumentiert, dass nur ein Bruchteil der Daten für die Strafverfolgung genutzt werden könnte, aber von der Speicherung 99 Prozent redliche Bürger betroffen wären. Eine Vorratsdatenspeicherung wäre nicht verfassungsgemäß, "da sie weder einer präzisen Zweckbindung unterliegt und nicht als geeignet, angemessen oder erforderlich im Sinne der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden kann".
Wieder hat die Ministerin das Problem, dass sie mit ihrer Position politisch isoliert ist. Selbst in der eigenen Partei gibt es wenige, die sich zu dem Thema äußern - dabei schreibt sich die FDP die Bürgerrechte groß auf die Fahnen. Offiziell will man nun die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe abwarten. So steht es auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP.
Klägerin und Beklagte zugleich
Leutheusser-Schnarrenberger ist eine der wenigen in der FDP, die zu dem Thema Position bezieht. Dabei dürfte es gerade ihr schwer fallen, denn sie ist Klägerin und Beklagte zugleich. Als Justizministerin muss sie vor Gericht ein Gesetz verteidigten, das sie als Privatperson zu Fall bringen will.
Hätten sich CDU und FDP in den Koalitionsverhandlungen auf eine Position geeignet, also für oder gegen eine Vorratsdatenspeicherung, wäre es viel einfacher gewesen. Dann hätte die FDP argumentieren können, man habe sich in diesem Punkt nicht durchsetzen können und muss nun vor Gericht die Meinung der Bundesregierung vertreten.
Unerträgliche Situation
Doch die jetzige Situation ist eigentlich unerträglich. Eine Justizministerin muss ein Gesetz verteidigen, welches sie nicht will, ihre Partei nicht will und auch ihre Bundesregierung bisher nicht will.
Leutheusser-Schnarrenberger wird vor Gericht nicht persönlich erscheinen. Ihre Staatssekretärin wird sie als Justizministerin vertreten. Und als Kläger gibt es genug andere Fürsprecher.
Eigentlich wollte sie persönlich zur Verhandlung kommen. Doch was wäre das für eine Farce geworden? Hätte sie zunächst als Justizministerin das Gesetz verteidigen sollen, um dann als Klägerin Gegenargumente anzuführen?
Egal wie die Sache ausgehen wird. Die neue Regierung hat sich keinen Gefallen damit getan, dass sie sich nicht entschieden hat, ob sie für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung sein will.
Autor: Sascha Baron
Redaktion: Kay-Alexander Scholz