Leung: "Wir wissen, wofür wir kämpfen"
15. Oktober 2014DW: Der TV-Sender TVB (Television Broadcast Limited) aus Hongkong veröffentlichte ein Video, das zeigt, wie Polizisten prodemokratische Demonstranten zu Boden prügeln. Wie würden Sie die Aktion der Polizisten beschreiben?
Yvonne Leung: Ich denke, es ist eindeutig ein Verbrechen, was die Polizisten getan haben. Sie haben kein Recht, einen festgenommenen Demonstranten zusammenzuschlagen. Falls jemand versucht haben sollte, sich der Verhaftung zu verweigern, hat die Polizei das Recht zu reagieren. Aber es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass der Mann, der in diesen Vorfall verwickelt war, sich der Festnahme widersetzen wollte. Es gab für die Polizeibeamten wirklich keinen Grund, so zu handeln.
Vor zwei Wochen setzte die Polizei Pfefferspray gegen die Protestierenden ein. Das hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen auf die Straßen strömten, um die Protestbewegung der Studenten zu unterstützen. Welchen Effekt wird dieses aktuelle Video haben?
Die breite Öffentlichkeit ist über die Vorgehensweise der Polizisten empört. Das Vertrauen der Hongkonger Bürger in die Polizei ist so gering wie nie zuvor. Ich denke, dass die meisten Menschen versuchen werden, Demonstrationen gegen die Polizei zu organisieren. Die Polizei wird in den kommenden zwei Tagen in den Fokus der Öffenltichkeit geraten.
Hongkongs Sicherheitschef, Lai Tung-kwok, sagte gegenüber der Presse, dass die Behörden den Vorfall untersuchen würden und dass die Verantwortlichen ihre Posten verloren hätten. Glauben Sie, dass diese Maßnahmen ausreichen?
Ich denke nicht, dass das bereits genug ist, weil es nur eine interne Untersuchung gibt. Wahrscheinlich wird es dabei zu keinen Ergebnissen kommen. Keiner, der tatsächlich Verantwortung trägt, wird entlassen werden. Sie nur von ihren Posten zu entfernen, heißt nicht, dass sie auch wirklich bestraft werden. Es geht hier nicht nur um Machtmissbrauch, sondern um eine Straftat. Ich glaube nicht, dass eine Entlassung ausreicht.
In der Nacht zum 15. Oktober sind einige Besetzer in die Durchfahrt der Lung Wo Road geströmt, eine wichtige Ost-West-Verbindung in der Nähe der Regierungsgebäude und des Parlaments in Hongkong. Welches Ziel steckte hinter dieser Bewegung?
Ich denke, das hängt mit dem Vorgehen der Polizeibeamten auf der Hauptstraße Queensway ab. Die Lung Wo Road ist der letzte Weg für die Leute, die zwischen dem Westen und dem Osten der Insel pendeln wollen, wenn der Queensway von Demonstranten besetzt ist. Nachdem die Polizisten den Queensway wieder unter Kontrolle haben, ist die Lung Wo Road nicht mehr so wichtig.
Einige Demonstranten wollten die Lung Wo Road als Ausgleich für den Queensway besetzen. Deshalb kam es zu dieser Bewegung. Die Menschen wollten ihre Verhandlungsposition verbessern.
Einige Beobachter sehen deutliche Anzeichen dafür, dass die Organisatoren die Kontrolle über die Bewegung verlieren. Die Teilnehmer hören nicht zwangsläufig auf die Organisatoren und keiner weiß, was wann und wo passieren wird. Macht Ihnen das Sorgen?
Ich denke nicht, dass außer Kontrolle oder unter Kontrolle nur anhand der Kontrolleistung der Organisatoren zu bewerten ist, sondern auch daran, ob die Richtung der Bewegung eindeutig ist, also ob die Menschen wissen, wofür sie demonstrieren. Ich glaube, dass sie sehr wohl wissen, wofür sie kämpfen: für die Demokratie. Wie viele Menschen werden gehen, wenn die Regierung uns Vorschläge macht und Verbesserungen anbietet? Ich glaube, dass die meisten zufrieden sein werden, wenn die Regierung uns feste Zusagen macht. Aber das gab es bisher nicht.
Wir haben immer betont, dass die Vereinigung (Hongkonger Studentenvereinigung, Anm. d. Red.) nur eine Studentenorganisation ist, die auf keine demokratischen Prozesse zurückgeht, um theoretisch die Meinung aller Bürger zu repräsentieren. Aber der Punkt ist, dass uns die Aufgabe erteilt wurde, eine von den Organisationen zu sein, die der Bewegung die Richtung weisen. Wir haben die Rückeroberung des Civic Square initiiert, bei der sich herausstellte, dass uns ganz viele Menschen unterstützten, und dann haben wir die Occupy-Bewegung ausgelöst. Aber ob das die Menschen akzeptieren, das ist eine andere Frage. Wir müssen etwas unternehmen, um die Kommunikation zwischen uns und den Bürgern zu verbessern, um zu sehen, ob die Richtung, die wir vorschlagen, auch die richtige ist.
Yvonne Leung ist Sprecherin der Hongkonger Studentenvereinigung (HKFS). Die Organisation umfasst studentische Verbindungen von acht Hochschulen. HKFS gehört zu den Organisatoren der derzeitigen Proteste.