Lenin ist zurück - falls die Eidechsen gehen
19. April 2015Lenins Ruhestätte: eine Sandgrube am östlichen Stadtrand von Berlin, in der Nähe des Müggelsees. Seit 1991 liegt die 19 Meter hohe Statue dort, seit sie nach der deutschen Wiedervereinigung am damaligen Leninplatz in Berlin-Friedrichshain abgebaut, in mehr als 100 Stücke geschnitten und im Sand vergraben wurde.
Doch nun könnte Lenin wiederauferstehen - oder zumindest sein Haupt: Das Museum auf der Zitadelle Spandau plant #link:http://www.enthuellt-berlin.de/:eine Dauer-Ausstellung über die in Ungnade gefallenen Denkmäler der wechselvollen Stadtgeschichte.# Der Titel: "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler". Das Museum in einer Festung aus dem 16. Jahrhundert will den dreieinhalb Tonnen schweren, 1,70 Meter hohen Kopf ausgraben lassen - gegen großen Widerstand von Behörden und Berlinern, die froh waren, den alten Kommunisten Lenin für immer los zu sein. Als noch viel größeres Hindernis aber könnten sich die Eidechsen erweisen: Zauneidechsen, genauer gesagt - streng geschützt von europäischen Artenschutzvorgaben.
Operation Eidechsen-Umzug
Ausgrabungsarbeiten mit schwerem Gerät würden die gestreiften Kriechtiere genau zur Paarungszeit treffen, in der sich ihre Farbe ändert hin zu einem satten Grün. Wer graben will, muss sie also zu einem Umzug bewegen - so sieht es das Gesetz vor.
"Jetzt erwachen die Eidechsen aus dem Winterschlaf", erzählt Ausstellungskuratorin Carmen Mann der DW. "Und Biologen sammeln sie ein, bevor sie sich in ihrer Umgebung wieder allzu häuslich einrichten. Sie werden dann an einen Ort in der Nähe gebracht, der derzeit für sie hergerichtet wird." Die Aktion habe aber gerade erst begonnen und brauche Zeit, sagt Mann. "Es könnte bis zum Sommer dauern."
Das Umsiedeln von Zauneidechsen ist eine heikle Angelegenheit - wenn sich die Tiere bedroht fühlen, können sie ihren Schwanz abwerfen. Die bis zu 25 Zentimeter langen Reptilien können außerdem beißen. Wer sie zu einem Umzug bewegen will, kann etwa das Gras kurz schneiden, in dem sie sich verstecken.
Lenin und Latte Macchiato
Den schwierigen Umständen entsprechend gibt es für die Ausgrabung noch keinen Termin. Das Fernsehen hat sich trotzdem schon angekündigt - die Bilder von Lenins Wiederauferstehung werden sicher als Zeichen gefeiert werden, dass Berlin sich erholt hat vom Trauma seiner Teilung. Ein erneutes Trauma könnte allerdings Lenin selbst davontragen: Wenn man ihn einmal quer durch Berlin fahren wird, wird er eine Stadt erblicken, die sich sehr verändert hat seit dem Winter 1991/1992, in dem man ihn vom Sockel holte.
Was Lenin wohl sagen würde zu all den Luxusbauten, den hippen Bars und Boutiquen? Den Szenebezirken mit ihren bärtigen Hipstern, die zu einem Latte Macchiato aus dem Mitnehmbecher ihre Internet-Firmen gründen? Was er wohl sagen würde zu den Touristenmassen mit ihren Selfie-Sticks, zum Wiederaufbau des Stadtschlosses? Und zum völligen Verschwinden des "antifaschistischen Schutzwalls", also der Berliner Mauer?
Andrea Theissen ist Leiterin des Kunstamtes Spandau und damit verantwortlich für das Museumsprojekt. Sie glaubt: Die Kämpfe um Lenins Ausgrabung zeigen, dass Berlins Verhältnis zu seiner Vergangenheit noch längst kein entspanntes ist. "Wir hatten angenommen, dass die Leute die Geschichte nach all der Zeit mit anderen Augen sehen", sagt sie - "aber dann war es doch nicht so einfach, wie wir das erwartet hatten."
"Von der Stadt, so empfindet es Theissen, bekam das Projekt immer wieder Steine in den Weg gelegt. Von "Verzögerungstaktik" spricht die Amtsleiterin: Die Stadt habe vorgeschobene technische und finanzielle Probleme sowie den Denkmalschutz ins Feld geführt - wolle damit aber nur ihren Unwillen verdecken, den Lenin-Kopf überhaupt wieder ausgraben zu lassen. So habe die Stadt sogar angegeben, sie wisse gar nicht genau, wo der Kopf begraben liege - obwohl ein US-Dokumentarfilmer ihn 1994 leicht gefunden, mit einem Spaten freigelegt und all das #link:https://www.youtube.com/watch?v=hPJ8YjVCb40:auf Video dokumentiert und veröffentlicht hatte.#
Erst im vergangenen August hatte die Stadt eine Ausgrabungs-Genehmigung verweigert - und hatte sich dabei auf den Wunsch der Denkmalschützer berufen, die Statue eines Tages in Gänze auszugraben. Nach öffentlichen Protesten lenkte die Stadt dann aber doch ein und gab den Kopf frei.
Das Museum will kein Lenin-Revival
"Ich bin sicher", sagt Theissen, "dass die Debatte weniger heftig geführt werden kann, wenn die Menschen sehen, wie wir die Denkmäler zeigen, erklären und in ihren geschichtlichen Zusammenhang einordnen." Das Spandauer Museum hatte nie die Absicht, die Statue aus rotem ukrainischen Granit wieder zusammenzusetzen. Ihre Zerstörung ist Teil der Berliner Geschichte, genauso wie ihre Einweihung zu Lenins 100. Geburtstag im April 1970 vor 200.000 Zuschauern. "Wir restaurieren keines der Denkmäler", sagt Ausstellungskuratorin Mann. "Sie werden gezeigt, wie sie sind. Wenn der Kopf oder Gliedmaßen fehlen, dann zeigen wir es genau so, weil wir die Geschichte der Statuen zeigen wollen."
Hauptattraktion ist Lenins Kopf - in dem 100 langen und neun Meter hohen einstigen "Proviantmagazin" auf der Spandauer Zitadelle will die Ausstellung aber auch etwa 100 weitere Denkmäler zeigen. Darunter ist auch die "Siegesallee", 90 Marmorstandbilder der Fürsten Brandenburgs und Preußens von Albrecht dem Bären bis zu Kaiser Wilhelm I. Die Allee stand einst im Tiergarten, wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aber abgebaut. "Für die Alliierten war sie ein Sinnbild des preußisch-deutschen Militarismus", sagt Theissen. "Nur das Einschreiten örtlicher Denkmalexperten konnte verhindern, dass die Standbilder zerstört wurden." Man habe die Siegesallee damals vor dem Schloss Bellevue vergraben. "Sie sehen, dass Lenin kein Einzelfall ist. Es war nicht unüblich, Denkmäler zu vergraben, wenn man nicht wusste, was man sonst mit ihnen anstellen sollte." Viele der Standbilder wurden in den späten 1970er Jahren ausgegraben und in einem ehemaligen Abwasserpumpwerk ausgestellt.
Die Schau soll zur Touristenattraktion werden
Die neue Dauerausstellung wird auch Statuen aus der Zeit der Weimarer Republik zeigen, Denkmäler für die Helden der Napoleonischen Kriege und einen Nazi-Gedenkstein aus dem Bezirk Zehlendorf. "Aus der Nazi-Zeit werden wir nicht viel haben", sagt Theissen. "Diese Zeit hat kaum Statuen hervorgebracht. Die ganze Architektur der Zeit sollte monumental sein."
Eine Ausstellung, die wohl eine Touristenattraktion ersten Ranges werden wird - wann sie allerdings öffnen wird, das weiß noch niemand so genau. Carmen Mann sagt: "Es kommt auf die Eidechsen an."