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Politik

Lehrer im Wettlauf mit Gesundheit und Zeit

Nicolas Martin
22. April 2020

Die Lockerung der Corona-Maßnahmen hat für hitzige Diskussionen gesorgt. Ein zentraler Streitpunkt ist dabei die schrittweise Schulöffnung. Viele Lehrer blicken nicht nur aufgrund ihrer Gesundheit in eine ungewisse Zeit.

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Deutschland Gütersloh | Coronavirus | Vorbereitung auf Schulbeginn
Bild: picture-alliance/dpa/F. Strauch

Wahrscheinlich wird ein einfaches Besetzt-Schild ausreichen müssen, damit die Lehrer der Globus Gesamtschule in Duisburg auf ihrer Toilette die Abstand-Regeln einhalten können. Das gesamte Erdgeschoss haben sie bereits zum provisorischen Lehrerzimmer umgestaltet. Sonst sei es zu eng, erzählt Schulleiter Erhard Schoppengerd. An Deutschlands Schulen sind pragmatische Lösungen gefragt, denn die Zeit ist knapp. Ab dem 4. Mai sollen die Schulen stufenweise geöffnet werden. Die Politik empfiehlt, dass zuerst die Schüler kommen, die vor einer Abschlussprüfung stehen. Dass Bildung in Deutschland Ländersache ist, sieht man an der Umsetzung: Denn in einigen Bundesländern schreiben Schüler bereits jetzt ihre Abschlussprüfungen. In anderen geht es erst bald los.

Viele Fragen sind offen

Schulleiter Erhard Schoppengerd hat das letzte Wochenende gearbeitet - von Zuhause, denn mit drei Bypässen und aufgrund seines Alters zählt er zur Risikogruppe. Dennoch koordiniert der 64-Jährige mit Telefon und Videokonferenzen den Schulbeginn nach dem einmonatigen Shutdown. Schon an diesem Donnerstag kommen die Schüler der Klassen 10. und der 13. zurück.

Erhard Schoppengerd, Schulleiter Globus Gesamtschule in Duisburg Deutschland
Erhard Schoppengerd, Schulleiter der Globus Gesamtschule in DuisburgBild: privat

In insgesamt zehn Räumen sollen die Lehrer die Schüler für die mittlere Reife und das Abitur fit machen. Auf jeden Raum kommen sieben Schüler und ein Lehrer - alle sollen Masken tragen -, so zumindest der Plan. Auch Sitzpläne werden derzeit angefertigt. "Wenn sich jemand infiziert, müssen die Infektionsketten verfolgt werden", berichtet Schoppengerd im Gespräch mit der DW. An seiner Schule wird man die Hygienevorschriften einhalten können. Allerdings fragt sich der Schuldirektor, ob die Kommune noch das versprochene Desinfektionsmittel bereitstellen kann. "Bis zur Schulöffnung am Donnerstag ist das zugesagt."

Schoppengerd fragt sich aber vor allem, warum man sich in Corona-Zeiten so sehr auf die Abschlussprüfungen versteift hat. Er hätte sich gewünscht, eher die jüngeren Schüler zu fördern: "Als Pädagoge tut es mir weh, dass Schule zum Prüfungsort degradiert wird."

Angst vor dem deutschen Abi-Flickenteppich

Der Sprecher des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hat darauf eine klare Antwort. In zwei Bundesländern sind bereits schriftliche Abitur-Prüfungen geschrieben worden. "Man wollte einen Flickenteppich vermeiden und den Schülern zum Abschluss verhelfen", sagt Meidinger im DW-Gespräch. Ansonsten hätte es Bundesländer mit und ohne Abschlussprüfung gegeben "und das hätte wiederum enorme Probleme bei der Vergabe von Studienplätzen mit sich gebracht".

Deutschland | Globus-Realschule | Screenshot Schüler
Schüler der Globus-Realschule bei einer Aktion zum Thema "Bleibt zu Hause"Bild: Screenshot/Globus-Realschule

In Deutschland kommen auf 11,5 Millionen Schüler knapp 800.000 Lehrer. Meidinger vertritt einen Teil der Lehrer. "Ich glaube, dass ein Großteil der Lehrer dafür ist, dass die schrittweise Öffnung kommt und die Prüfungen abgehalten werden." Allerdings hätten sich die meisten einen größeren Vorlauf von der Politik gewünscht. "Es wurden hier Fehler im Krisenmanagement gemacht", sagt Meidinger. So hätten die Kulturminister schon während der Osterferien klare Vorgaben für eine Schulöffnung erarbeiten könne.

"Mehr Kontakte bedeutet höheres Risiko"

Das geschieht jetzt auf den letzten Drücker und uneinheitlich. So sind Masken nicht in jedem Bundesland an der Schule vorgeschrieben. Meidinger kritisiert auch, dass die Lehrer bisher noch nicht wissen, wer als Risikopatient gilt und wer nicht. Klar ist bisher nur, wer über 60 ist, der zählt dazu. "Es gibt aber auch Lehrer, die wollen, dass es kein Gebot gibt, das die 60-Jährigen ausschließt", sagt der Lehrerverband-Sprecher.

An der Globus Gesamtschule am Dellplatz in Duisburg hat Schulleiter Erhard Schoppengerd explizit darum geben, dass sich keiner von den 60-Jährigen freiwillig meldet, um zu unterrichten. "Objektiv ist klar, ich erzeuge durch mehr Kontakte auch mehr Möglichkeiten, dass sich Menschen anstecken." Sein Kollegium sei aber noch relativ jung. Von insgesamt 100 Lehrern seien nur zehn über 60. Dennoch hat er auch allen anderen mit Ängsten und Zweifeln geraten, mit einem Arzt das Risiko abzuklären.

Belastungsgrenzen der Lehrer

Die Kultusministerin von Baden-Württemberg, Susanne Eisenbann, schätzte vergangene Woche, dass 25 Prozent der Lehrer-Belegschaft unter die Risikogruppe fallen. "Ich glaube, dass es weniger sind", sagt hingegen Lehrervertreter Meidinger. Der Vorsitzende des deutschen Lehrerverbands geht dennoch davon aus, dass die Lehrer-Belegschaft schon wenn 40 Prozent der Schüler zurück an den Schulen sind an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Denn durch die kleineren Gruppen, geben die Lehrer jeder Klasse quasi doppelt Unterricht. "Ich bin mir sicher, dass einige Jahrgangsgruppen in diesem Jahr nicht mehr an die Schulen zurückkehren werden", so Meidinger.

Deutschland Deggendorf | Deutscher Lehrerverband | Heinz-Peter Meidinger
Hans-Peter Meidinger vom Deutschen LehrerverbandBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Auch die deutsche Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erwartet längerfristig keinen normalen Unterricht an den Schulen in Deutschland.  Präsenzunterricht und digitale Lernmethoden müssten kombiniert werden, sagte sie.

Die digitale Lücke

Problematisch sei daran allerdings, "dass wir viele Kinder damit nicht erreichen", gibt Lehrer-Sprecher Meidinger zu bedenken. Er schätzt, dass das auf bis zu drei Millionen Kinder zutreffen könnte.

Dieses Problem kennt auch Schulleiter Schoppengerd: 80 Prozent der Schüler an seiner Schule stammten aus ärmlicheren Verhältnissen. Die meisten hätten höchstens Smartphones: "Und dann ist Ende. Das heißt, das digitale Lernen ist für die meisten problematisch." Für sie müssten dringend Möglichkeiten geschaffen werden, um in die Schule zu kommen.

Sich selbst sieht der Schulleiter aus Duisburg noch länger im Home Office. In zwei Jahren geht er in Rente und hofft, bis dahin nochmals in seinem Büro zu sitzen und wie früher "dabei die Türe für jeden offen zu haben".