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Lebenswerk in gute Hände abzugeben

23. März 2018

Ein Restaurant, ein Übersetzungsbüro, eine Maschinenbaufirma - alles zu haben. Auf der Börse nexxt-change suchen Tausende kleine und mittlere Unternehmen einen neuen Eigentümer. Das ist nicht immer leicht.

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Symbolbild Nachfolge im Famileinunternehmen
Bild: Fotolia/fotodesign-jegg.de

Eine Firma gefällig? Secondhand, aber noch gut im Schuss? Aufgrund des demografischen Wandels gibt es mehr Firmeninhaber, die wegen Alter oder Krankheit einen Nachfolger suchen, als fünf Jahre zuvor. 2,4 Millionen Arbeitsplätze bundesweit hängen davon ab, ob der Generationenwechsel gelingt. In etwas mehr als der Hälfte der Firmen steht ein Familienmitglied bereit für den Chefsessel, in 18 Prozent der Fälle findet sich ein geeigneter Nachfolger unter den Mitarbeitern. Der Rest sucht Externe - etwa über Nachfolgebörsen wie nexxt-change oder über spezialisierte Makler, die Übergabe- und Übernahmewilligen gegen Provision zusammenbringen.

Lemo-Solar wechselte vor fünf Jahren den Besitzer. Der mehrfache Erfinder Werner Lehnert hatte das Unternehmen bei Heilbronn vor 25 Jahren zusammen mit seiner Frau aufgebaut. Es vertreibt übers Internet Motoren, Elektronik und ganze Bausätze für Modellbauer und den Schulunterricht. Auch Ingenieurbüros nutzen die Modelle, um ihren Kunden vorzuführen, wie etwa Solar- und Windkraftanlagen funktionieren.

Im Laufe der Zeit wuchs den Lehnerts die Arbeit über dem Kopf, sodass die Frage anstand: Expandieren oder verkaufen? Werner Lehnert war schon über 60 und wollte die zahlreichen Ideen in seiner Schublade endlich weiterentwickeln. So fand er bei nexxt-change den Ingenieur Rainer Link, der eine Firma für Prototypenbau betrieb und ein zweites Standbein suchte.

Der alte Chef soll sich wirklich zurückziehen

Heute führt Link Lemo-Solar zusammen mit seiner Frau und beschäftigt noch drei Minijobber. "Wir arbeiten mittlerweile deutlich mehr für Schulen und Firmen und haben auch Systeme entwickelt, die im Regierungspräsidium Stuttgart in Fortbildungsseminaren für Lehrer empfohlen werden", erzählt er. Der Vorteil, ein bestehendes Unternehmen zu kaufen statt ein eigenes zu gründen ist, dass es schon einen Namen und Kundschaft hat.

Werner Lehnert und Rainer Link
Werner Lehnert und Rainer LinkBild: Matthias Marquart

Es sei auch leichter, einen Business-Plan zu schreiben, wenn man sich auf reale Zahlen stützen könne, so Link. Allerdings sei er kein Erfinder wie sein Vorgänger. "Aber dieses Defizit konnten wir ausgleichen, indem wir mit Herrn Lehnert einen Beratervertrag geschlossen haben. Er sorgt weiterhin mit seinen vielen Ideen für jede Menge innovativer Produkte". Befreit von der Last des Tagesgeschäfts entwickelte der Tüftler z.B. neue "Energiekisten" für Kindergärten und Schulen.

Das Wichtigste, sagt Link, sei, dass der alte Chef - nach einer Einarbeitungszeit - sich tatsächlich aus seiner Rolle zurückziehe. Lehnert sei das gelungen: "Als Berater macht er Vorschläge, akzeptiert aber, dass die endgültige Entscheidung bei mir liegt". Die Chemie zwischen den beiden stimmte von Anfang an, deshalb war die Übergabephase rekordverdächtig kurz: etwa 6 Monate. Normalerweise veranschlagen Berater drei Jahre und mehr dafür: Umso wichtiger ist es, die Nachfolge nicht auf dem letzten Drücker zu planen.

Individuelle Beratung nötig

Ohne professionelle Hilfe ging es aber auch bei Lemo-Solar nicht: In diesem Fall kam sie von der IHK Heilbronn. Die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern sowie Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken zählen zu den insgesamt 700 regionalen Partnern der Börse nexxt-change, die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt ist. Die Partner helfen unter anderem, Inserate zu formulieren, die Bilanzen des Unternehmens zu prüfen, den Kaufpreis auszuhandeln und die Finanzierung zu sichern.

 

"Es geht um Tausende von Arbeitsplätzen, neue Investitionen und die Sicherung des Knowhows in den Betrieben - und nicht zuletzt darum, das eigene Lebenswerk in gute Hände zu legen. Das ist etwas zutiefst Emotionales und fällt mancher Unternehmerin und manchem Unternehmer nicht leicht", weiß die Mittelstandsbeaufragte der Bundesregierung, Iris Gleicke.

Die rund 15.000 Unternehmen, die nexxt-change nach eigenen Angaben seit 2006 vermittelt hat, hatten im Schnitt acht Mitarbeiter. Nicht jedes Unternehmen stuft das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) als übernahmewürdig ein: Interessant wären vor allem Mittelständler, die weder zu klein noch zu groß sind, das heißt Unternehmen mit zwischen 0,1 und 10 Mio. Euro Umsatz pro Jahr und wenigstens einem Angestellten.

Übergang will gut begleitet sein

Der Übergabeprozess sei hochkomplex und intransparent für alle Beteiligten: Individuelle Beratung sei notwendig. Die Verjüngung tut der Firma in der Regel gut: So wüchsen nach IfM-Angaben in den ersten Jahren die Umsätze und die Zahl der Beschäftigten. Laut IfM übersteigt die Zahl der Interessenten rein rechnerisch die Zahl der übernahmewürdigen Unternehmen. Möglich seien allerdings regionale oder branchenspezifische Engpässe.

Obwohl es in absoluten Zahlen keine Lücke gibt, schließen viele Betriebe, weil niemand sie haben will. Deshalb sollten sich Firmeninhaber nach neuen Zielgruppen umschauen. Auf nexxt-change suchen beispielsweise auch ausländische Unternehmen nach einer deutschen Tochter: Zentraler Ansprechpartner ist in einem solchen Fall die Germany Trade and Invest GmbH. Aber auch im eigenen Land ist es möglich, Potenziale zu erschließen. Die bundesweite Gründerinnenagentur (bga) wirbt jedes Jahr mit einem Nationalen Aktionstag dafür, das eigene Unternehmen einer Frau anzuvertrauen. Noch ist das selten: Nur 13 bis 23 Prozent der Betriebe bekämen laut bga eine neue Chefin. Aber selbst in der Metall- und Elektro-Industrie gelingt das, wie die Beispiele bei "Nachfolge ist weiblich" zeigen. Und das, obwohl Frauen häufiger fachfremd sind: Das technische Knowhow lässt sich schließlich zukaufen.