Lebenslange Haft für Putschisten in der Türkei
26. November 2020Es ist der wohl spektakulärste Prozess in einer langen Reihe von Gerichtsverfahren wegen des fehlgeschlagenen Putsches 2016 in der Türkei. Das Verfahren begann im August 2017 im größten Gerichtssaal des Landes, der eigens im Gefängniskomplex Sincan in der Provinz Ankara errichtet worden war.
Insgesamt 475 Kommandeure der Luftwaffe, Piloten und Soldaten sind wegen des Umsturzversuchs gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdogan angeklagt. Ihnen werden Mord, versuchter Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung und versuchter Mord an Präsident Erdogan vorgeworfen.
Als Hauptbeschuldigte in dem Prozess gelten der ehemalige Luftwaffenkommandant Akin Ozturk und seine Vertrauten auf dem Luftwaffenstützpunkt Akinci bei Ankara. Vor hier aus sollen sie den versuchten Staatsstreich geleitet und unter anderem auch die Bombardierung von Regierungsgebäuden und des Parlaments angeordnet haben. Dies wurde als Versuch gewertet, Erdogan zu töten.
"Verschärfte" lebenslange Haftstrafen
Mehrere Hundert Putsch-Beteiligte wurden jetzt in Sincan zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach Meldungen der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu und weiterer Medien erhielten mehr als 20 Piloten der Luftwaffe und Offiziere, die nach Ansicht des Gerichts mehrere Ziele in der Hauptstadt Ankara bombardiert hatten, sogenannte verschärfte lebenslange Haftstrafen. Die verschärfte lebenslange Freiheitsstrafe, die strengere Haftbedingungen beinhaltet, ersetzt die 2004 abgeschaffte Todesstrafe in der Türkei. Insgesamt seien 337 Menschen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden, berichtete Anadolu. 60 weitere hätten Gefängnisstrafen zwischen 6 und knapp 17 Jahren erhalten. Es gab 75 Freisprüche.
Bei dem Putschversuch im Juli 2016 waren nach offiziellen Angaben mehr als 250 Menschen getötet worden. Die türkische Regierung macht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Dieser lebt seit 1999 im US-Exil; er bestreitet die Vorwürfe.
Zehntausende Entlassungen, tausende Verurteilungen
Seit dem Umsturzversuch wurden landesweit hunderte Gerichtsverfahren in Gang gesetzt. Mehrere zehntausend Menschen wurden verhaftet und mehr als 140.000 Beamte wurden entlassen oder von ihrem Posten suspendiert. Die Verhaftungswellen dauern bis heute an, auch wenn ihr Tempo fünf Jahre nach dem Putschversuch nachgelassen hat.
Weitere Verfahren mit einer noch größeren Zahl von Angeklagten sind noch im Gange. Mehr als 520 Personen werden in einem Prozess im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Präsidialgarde vor Gericht gestellt. Insgesamt 4154 Verdächtige wurden bisher verurteilt, mehr als 2500 von ihnen nach offiziellen Angaben zu lebenslangen Haftstrafen
cw/qu/sti (afp, dpa, rtr)