Lebensgefahr in russischen Bergwerken
29. Oktober 2003Marode Technik, fehlendes Material, selbst der Strom wird manchmal abgestellt. Die Zustände in russischen Bergwerken gleichen denen zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, urteilen westliche Experten. "In Russland liegt die Zahl der Unfälle 100 mal höher als in Deutschland", sagt Professor Per Nicolai Martens, Leiter des Instituts für Bergbaukunde in Aachen.
Unfälle sind an der Tagesordnung
Der glückliche Ausgang des Dramas in Nowoschachtinsk kann die traurigen Zahlen nicht überdecken: allein in diesem Jahr sind nach Angaben der unabhängigen Bergarbeiter-Gewerkschaft in Russland bereits mindestens 77 Kumpel bei Unfällen unter Tage gestorben. Der jüngste Unfall ereignete sich am Mittwoch (29. Oktober 2003) im sibirischen Partisansk: 71 Männer waren unter der Erde, als ausströmendes Gas explodierte. Fünf Männer starben, fünf weitere wurden schwer verletzt.
Mangelnde Investitionen
Zwar sind die meisten russischen Minen in Privatbesitz, doch ihre Kunden sind vor allem Unternehmen in Staatsbesitz. Und die sind häufig bankrott, können ihre Rechnungen nicht bezahlen.
Die Folge: Sicherheitsvorkehrungen können nicht eingehalten werden – weil kein Geld da ist. Die Bergarbeiter müssen oft Monate lang auf ihren Lohn warten. Für ihre harte Arbeit erhalten sie durchschnittlich 200 Euro pro Monat – wenn gezahlt wird. Alternativen gibt es für sie nicht . Oft sind die Minen die einzigen Arbeitgeber in der Region.
Gewerkschaft protestiert
Die unabhängige Bergarbeitergewerkschaft NPG kann nicht viel mehr tun, als die Arbeitsbedingungen zu kritisieren. "Auf eine Million Tonnen geförderter Kohle kommt bei uns im Schnitt ein getöteter Bergmann", sagte Gewerkschaftsfunktionär Ruben Badalow in Moskau. Damit sei man wieder bei gleichen Verlustzahlen wie vor hundert Jahren angelangt.
113 Kohlebergwerke gibt es in Russland. In etwa 80 Prozent aller russischen Schachtanlagen sei die Förder- und die Sicherheitstechnik völlig verschlissen, schätzt die Gewerkschaft.
Änderung nicht in Sicht
Um weiterhin überhaupt Löhne zahlen zu können, ist die Branche auf Kredite der Weltbank angewiesen. Seit 1993 stellt die Bank Millionen US-Dollar zur Verfügung – eigentlich, um marode Bergwerke zu schließen und die Sicherheit zu verbessern. Was genau mit diesen Investitionen geschehen ist, ist unklar. Fest steht: Solange mit der Förderung in veralteten Anlagen noch Geld zu machen ist, werden die Unternehmen weiter arbeiten lassen. "Die neuen privaten Eigentümer versuchen, so viel Profit wie möglich aus den Zechen zu schlagen" so Gewerkschaftsfunktionär Badalow.
Auch Präsident Putin äußerte sich am Mittwoch besorgt über die Zustände in russischen Bergwerken. "Leider werden solche Ereignisse zunehmend alltäglich", sagte er. Konkrete Lösungen sind von Seiten der Politik wohl nicht zu erwarten. Immerhin schlug Präsident Putin vor, die Retter der Bergleute von Nowoschachtinsk mit staatlichen Auszeichnungen zu ehren. An der Lage der Bergarbeiter wird das allerdings nichts ändern.