Regelmäßiges "Land unter"
12. Februar 2009Laut ist sie, die Lore der Familie Hartwig-Kruse. Doch ohne sie wäre die Hallig Nordstransdischmoor bei Flut unerreichbar. Der Lorendamm mit seinen schmalen Schienen ist ihre Nabelschnur. Dreieinhalb Kilometer trennen die Hallig vom Festland. Heute verstaut Ruth Hartwig-Kruse die Einkäufe auf der Familien-Lore. Ihre Haare hält sie mit einem Stirnband zurück, das Wasser perlt von ihrem Regenzeug ab.
Der Weg durch das Watt dauert eine Viertelstunde. Dem Gast brummt vom Lärm der Lore der Schädel. Der Halligbewohnerin geht es anders: "Es ist eigentlich eher so, dass ich diese Viertelstunde Lorenfahrt total genieße, weil ich da einfach so meinen Gedanken nachhängen kann", sagt Ruth Hartwig-Kruse. "Ich brauch an nichts zu denken, oft finde ich es einfach auch nur spannend, die Vögel im Watt zu beobachten oder ich gucke, ob vielleicht irgendwo ein Bernstein liegen könnte."
Großfamilie mit vier Generationen
Auf der Hallig erwartet sie der Trecker – Autos gibt es nicht. Ruth Hartwig-Kruse steuert ihn die drei Kilometer zur Norderwarft, vorbei an Schafen, Salzwiesen und Wassergräben. Zu Hause wird sie von einer Schar Kinder empfangen. Die Hartwigs sind eine Großfamilie mit vier Generationen: Oma, Vater, Mutter und drei Kinder wohnen in zwei Häusern auf der Norderwarft. Einen Hügel weiter lebt Ruths ältester Sohn mit seiner Freundin und den gemeinsamen drei kleinen Kindern.
Ruth Hartwig-Kruse koordiniert die Großfamilie und pflegt die Rituale. "Die Freundin meines Sohnes kommt zum Kaffee, wenn mein Mann von der Arbeit kommt. Dann bekommt sie den neusten Westküstentratsch zu hören, den er mitbringt."
Nachhaltig und Natur verträglich
Hans-Hermann Hartwig arbeitet beim Küstenschutz, wie alle Männer der Hallig Nordstrandischmoor. Heute stand er den ganzen Tag fast bis zur Hüfte im Wasser: Das Leben mitten im größten Nationalpark Deutschlands ist eines in und mit der Natur. Seit 2005 bilden die größeren Halligen Langeneß, Hooge, Gröde, Oland und Nordstrandischmoor eine eigene Biosphärenregion.
Die Halligbewohner haben sich ganz bewusst dafür entschieden, in ihrem Lebensraum nachhaltig zu wirtschaften und Natur verträglich zu leben. Doch es ist nicht immer leicht. "Gerade um diese Jahreszeit ist man schon müde", erzählt Hans-Hermann Hartwig. "Wenn es so nass und kalt ist. Man arbeitet den ganzen Tag draußen und wenn man nach Hause kommt, dann fallen die Augen schon mal zu."
"Land unter" ist Routine
Vor allem wenn es "Land unter" heißt, herrscht Hochbetrieb auf der Hallig. Etwa 30 Mal im Jahr läuft sie voll wie ein Suppenteller. Nur die Warften ragen aus dem Wasser. Die Schafe würden ertrinken, triebe die Familie sie nicht auf den Hügel hoch. Auch für die Kinder ist Ausnahmezustand. Ihre Schule liegt nur 800 Meter weiter, doch der Weg steht unter Wasser. Sie bekommen ihre Hausaufgaben per Email oder Fax geschickt.
Für die elfjährige Ann-Kathrin ist das alles ganz selbstverständlich: "Es kommt immer öfter vor und besonders jetzt beim Klimawandel wird es noch öfter und stärker kommen", sagt sie. "Und es wird auch schon geplant, dass die Warften erhöht werden, damit wir geschützter sind und nicht gleich absaufen, wenn das kleinste 'Land unter' kommt."
Tourismus als zweites Standbein
Wenn das Wetter mitspielt, können die Kinder binnen einer guten Stunde in Husum sein. Für Kino, Ballett-Unterrricht, und zum Einkaufen. Aber die Abgeschiedenheit der Hallig hat auch ihre Vorteile. In der Stube geht es rege zu, doch tritt man vor die Haustür - Stille. Nicht mal Möwen oder das Blöken der Schafe sind zu hören. Manchmal rauscht der Wind ein bisschen oder es piepst ein vereinzelter Vogel, der für den Winter nicht nach Süden gezogen ist.
"Das ist eben das Besondere", sagt Ruth Hartwig-Kruse. "Wir haben Gäste, die sagen: Wir konnten vor lauter Ruhe nicht schlafen." Tourismus ist ein zweites Standbein für die Familie, wenn auch ein wackliges. Ruth Hartwig-Kruse sagt, es sei bisher niemand früher abgereist. Beim "Land unter" werden die Gäste vorsichtshalber hereingeholt – denn die Aussicht, völlig unerreichbar zu werden, fasziniert die Besucher so sehr, dass sie die Gefahr des Wassers leicht übersehen.