1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Leben im Ausnahmezustand

Petra Tabeling18. Februar 2003

Während ein möglicher Angriff auf den Irak näher rückt, lebt die Bevölkerung aufgrund der UN-Sanktionen bereits seit zwölf Jahren wie im Kriegszustand - ohne Aussicht auf Besserung.

https://p.dw.com/p/3DTL
Opfer mangelnder Versorgung: <br>Kinder im IrakBild: AP

"Unsere Streitkräfte werden dafür sorgen, dass der Irak ins vorindustrielle Zeitalter zurückgeworfen wird", verkündete der damalige US-amerikanische Außenminister James Baker kurz vor Beginn des Golfkrieges 1991. Das sollte sich bewahrheiten. Doch nicht nur die Luftangriffe forderten Opfer unter der Bevölkerung, auch unter den von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen leiden die Menschen, so der Erzbischof von Basra, Gabriel Kassab. Nach zwölf Jahren Sanktionen ist der Irak auf das Niveau eines Entwicklungslandes zurückgeworfen. Und das, obwohl der Krieg gegen den "Schurkenstaat" noch gar nicht begonnen hat.

Vorbereitungen für den Krieg

Hilfslieferungen für den Irak
Hilfslieferungen für den IrakBild: AP

Für den Kriegsfall befürchten internationale Hilfsorganisationen noch einer dramatische Verschlechterung der Situation. Sie bereiten sich derzeit auf Großeinsätze im Irak vor. Deutsche Hilfswerke rechnen mit bis zu 200.000 Toten und Verletzten in der Bevölkerung. Allein in Bagdad könnte es 100.000 Opfer geben, schätzt der Verband der Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Viele Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Rotes Kreuz und Caritas haben signalisiert, vor Ort Hilfe leisten zu wollen. UNICEF hat bereits Hilfsgüter im Wert von rund sieben Millionen Euro bereitgestellt, darunter Impfstoffe, Zusatznahrung und Basismedikamente. Doch das wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Die Opfer sind Kinder

Seit Beginn des US-Embargos, das 1990 verhängt wurde, als Saddam Husseins Truppen in Kuwait einmarschierten, seien rund eine Million Iraker gestorben – vor allem Frauen und Kinder, so einigen Schätzungen zufolge. Von 1000 Kindern sterben 131 bevor sie fünf Jahre alt werden. Damit habe der Irak die höchste Kindersterblichkeit der Welt, so der ehemalige Koordinator der UNO für humanitäre Hilfe im Irak, Hans von Sponeck. Die Kindersterblichkeitsrate sei nun zweieinhalb mal so hoch wie zu Beginn der Sanktionen Anfang der 1990er Jahre. Besonders dramatisch: Im ganzen Land gibt es kaum sauberes Trinkwasser, weshalb Durchfallerkrankungen Todesursache Nr. 1 bei Kindern sind.

Fast eine Million Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Mangelernährung. Laut UNICEF erhalten bereits jetzt 240.000 Kinder Zusatznahrung. Dennoch sterben nach Angaben von Caritas International Tausende an den Folgen. Zudem habe sich seit Beginn der Sanktionen die Zahl leukämiekranker Kinder verfünffacht. Sie erhalten keine lebenswichtigen Behandlungen, denn das Embargo, unter der Aufsicht des UN-Sanktionskomitees in New York, unterbindet eine Einfuhr lebensnotwendiger Medikamente und medizinischer Einrichtungen, sagen Kritiker des Embargos.

Während chronische Krankheiten nicht behandelt werden können, bisher als ausgemerzt geglaubte Krankheiten wieder auf. Grund dafür ist fehlende Hygiene. Beispiel "Kala Azar" (Schwarze Krankheit): Die weitverbreitete Infektionskrankheit war bisher nur in unterentwickelten Gebieten, etwa in einigen Regionen Indiens und Afrikas, bekannt. Ihr Erreger wird von Mücken übertragen. Da das Immunsystem vieler Iraker unter den gegebenen Bedingungen ohnehin geschwächt ist, tritt die Krankheit immer wieder auf.

Teufelskreis Ärztemangel

Dieser Teufelskreis wird durch zuwenig Ärzten vor Ort noch verstärkt. Auch die Studienbedingungen für Medizin sind unzureichend und der Import medizinischer Fachzeitschriften ist nicht möglich, weil in ihnen Methoden über die Herstellung biologischer Waffen stehen könnten.

Galt das Bildungswesen Anfang der 1970er Jahre noch als vorbildlich, weil es vor allem Mädchen förderte, geht heute jedes vierte Kind nicht mehr zur Schule, weil es die Familie unterstützen muss. Die Analphabetenrate ist nach Angaben der UNESCO eine der höchsten der Welt.