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"Zum Töten bereit"

Andrea Grunau20. Februar 2015

Warum ziehen deutsche Jugendliche in den Dschihad? Im DW-Interview berichtet die Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin Lamya Kaddor über ihr Buch und Erfahrungen mit ehemaligen Schülern, die nach Syrien reisten.

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2011: Jugendliche recken ihre Arme und jubeln einem Prediger zu (Foto: dpa/ARCHIV)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Deutsche Welle: Ihr Buch "Zum Töten bereit" untersucht, warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen. Als islamische Religionslehrerin in Dinslaken haben Sie erlebt, dass fünf ehemalige Schüler nach Syrien reisten. Sie schreiben von "eigentlich gut bekannten und sympathischen Menschen". Was ist passiert?

Lamya Kaddor: Sie begriffen sich nicht als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft. Das Gefühl, nicht anerkannt zu sein, ist in der Phase der Identitätssuche fatal. Sie brachten günstigste Voraussetzungen für Menschenfänger mit. Wenn Jugendliche dann an solche falschen charismatischen Personen geraten, die ihnen sagen, dass sie anerkannt seien und nicht die "Loser" dieser Gesellschaft, wird es gefährlich.

Radikaler Salafismus steht für extreme Gewalt. Sie sprechen von sympathischen Jungs - wie passt das zusammen?

Das ist eine Schizophrenie. Wenn man sich auf sie eingelassen hat, waren es wirklich sehr sympathische Jungs. Sie haben sich nach der Schulzeit radikalisiert, ich hatte sie jahrelang nicht mehr unterrichtet. Es zeigt ihre Zerrissenheit, dass sie sich so etwas vorstellen konnten, ihre Verlorenheit zwischen Muslim-Sein und Deutsch-Sein. Sie waren nicht sehr religiös, eher weltlich orientiert. Später sind sie extrem geworden: vermeintlich sehr fromm, mit einer Weltsicht, die nur in Freund und Feind denkt. Das Internet hat einen großen Anteil. Viele Jugendliche radikalisieren sich hier. Ich glaube auch, dass Allmachtsfantasien eine Rolle spielen: Plötzlich ist man selbst das Gesetz. Sie meinen, die hier empfundene Ungerechtigkeit in Syrien oder im Irak umkehren zu können. Das ist ein ziemlich verqueres Denken, aber das sind ideologisierte Jugendliche.

Extreme Gewalt wirkt dann nicht abschreckend sondern anziehend?

Ja, besonders, wenn die jungen Leute geprägt sind von Diskriminierung und Frustration. Wenn sie schon mit acht, neun Jahren wissen, sie haben es viel schwerer, weil sie aus einer sozial schwachen Familie, einem sozial schwachen Stadtteil stammen. Wenn die Eltern es nicht schaffen, die Lage zu verbessern, wenn Familien versagen, muss der Staat die Jugendlichen mit Bildungs- und Sozialarbeit auffangen. Salafisten sind mitunter einfach nur die besseren Sozialarbeiter. Sie haben den besseren Draht zu den Jugendlichen. Der Staat muss mehr dafür tun, dass Kinder mit Migrationshintergrund die gleichen Bildungschancen haben. Und sowohl Muslime und auch die Mehrheitsgesellschaft müssen endlich verstehen, dass Deutsch-Sein heute auch Muslimisch-Sein bedeuten kann. Wir müssen Präventionsarbeit leisten, statt immer nur Symptome zu bekämpfen mit Gesetzesänderungen. Dazu gehört der Aufbau von Chancengleichheit.

Vier der fünf Jugendlichen kamen zurück. Was haben sie Ihnen gesagt?

Sie waren ziemlich verstört als ich sie traf, sie schämten sich. Sie sagten: "Wir haben gedacht, es wäre richtig, weil wir den Islam verteidigen wollten." Das haben sie danach selbst nicht mehr verstanden. Alle sagen: "Das war falsch." Das hat mich beruhigt. Sie waren nicht lange in Syrien, haben keine Kampferfahrungen gesammelt.

Sie schreiben von einer Dschihad-Romantik, was ist gemeint?

Mädchen verfallen dieser Dschihad-Romantik noch stärker als Jungen. Man sagt ihnen: "Dort werdet ihr ehrwürdige Ehefrauen. Ihr heiratet einen Dschihadisten und eure Männer sind dann großartige Helden, die irgendwann Märtyrer werden. Was gibt es Tolleres vor Gott." Manche jungen Frauen verstehen das als Rebellion gegen das Elternhaus. Sie haben vorher zuhause definitiv nicht so gelebt, die Eltern sind schockiert von diesem Verhalten.

Der Weg in den Dschihad ist dann nicht Kampf der Kulturen sondern Jugendprotest?

Nicht bei den Vordenkern der Salafisten-Szene, aber bei den meisten, die sich ihnen anschließen, definitiv. Der ganze politische, auch der dschihadistische Salafismus bietet sich den Jugendlichen perfekt an. Womit kann man die als ungerecht empfundene deutsche Gesellschaft derzeit besser provozieren als damit? An dieser Stelle ist es ganz klar eine Protestbewegung. Die Jugendlichen verbindet bestimmte Musik, die gleiche Kleidung, junge Männer lassen sich einen Bart wachsen. Große Teile dieser Ideologie sind auf Jugendliche ausgerichtet. Das macht den Salafismus so gefährlich.

Buchcover 'Zum Töten bereit' von Lamya Kaddor (Foto: Piper Verlag)
Lamya Kaddor fordert Prävention und Rückkehrer-Programme

Wie kann man junge Menschen besser impfen gegen Extremismus und Gewalt?

Sicher auch durch religiöse Aufklärung: Es gibt nicht nur einen wahren Islam, wie es Salafisten propagieren. Wir wissen als Islamwissenschaftler, dass es seit Beginn ganz unterschiedliche Auffassungen gab, wie der Koran zu verstehen ist. Man muss den Jugendlichen vermitteln: Wie arbeiten Salafisten? Was wollen die von Euch, wenn sie Freizeitangebote machen oder mit euch sprechen? Verfallt nicht in Schwarz-Weiß-Denken, Freund und Feind, gläubig und ungläubig. Seid kritisch.

Aus dem Umfeld heißt es oft: Wir haben nichts geahnt. Welche Warnsignale gibt es?

Ähnlich wie beim Rechtsextremismus isoliert man die Jugendlichen bei der Radikalisierung: von der Familie, dem schulischen Umfeld, dem Freundeskreis. Das hat Sekten-Charakter. Wenn der Jugendliche manipuliert ist, tritt er nach außen und sagt plötzlich: "Für mich besteht die Welt aus Gläubigen und Ungläubigen. Wir als Muslime sind die Opfer und alle anderen die Täter, wir müssen was dagegen tun." Wenn sich jemand am sogenannten Dschihad beteiligt, ist es meist schon zu spät. Wir müssen Zwischenstufen erkennen: Wenn sich Verhalten und Einstellung abrupt ändern. Wenn plötzlich Religion sehr wichtig wird. Spätestens dann sollte man ein Gespräch mit Sohn, Tochter oder dem Schüler führen.

Sie haben viel Kontakt zu muslimischen Jugendlichen, rekrutiert werden auch Konvertiten. Sie schreiben, auch Muslime konvertierten zum radikalen Salafsimus. Welche Unterschiede sehen Sie?

Eigentlich keine. Gefährdet ist jeder Jugendliche, egal ob männlich oder weiblich, Muslim oder Andersgläubiger. Diese Menschenfänger schauen nicht nach Religion, sondern nach der psycho-sozialen Verfassung: Wie anfällig ist er, sucht er Halt? Wenn sie den Jugendlichen gefasst haben, konvertiert der eben. Der konvertiert nicht in den Islam sondern in den Salafismus. Je weniger religiöses Wissen er mitbringt, desto besser für die Salafisten.

Portrait der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (Foto: dpa)
Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor gilt als Pionierin der islamischen Religionspädagogik in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Wie kann man Jugendliche wieder herausholen?

Im schlimmsten Fall kann man sie nicht mehr rausholen. Wenn jemand völlig ideologisiert wurde, ist es ganz, ganz schwer. Es gibt Fälle, da standen Kinder kurz vor der Ausreise. Die Eltern bekamen es kurzfristig mit, weil die Pässe fehlten. Sie wurden panisch und veranlassten gegen die eigenen Kinder Zwangsmaßnahmen durch die Sicherheitsbehörden.

Behörden warnen vor Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak - wie sollte man mit ihnen umgehen?

Man muss sie begleiten, dann kriegt man raus, ob das noch ideologisierte, gewaltbereite junge Männer sind, die hier einen Anschlag verüben wollen. Die Desillusionierten können wir wahrscheinlich relativ gut resozialisieren, vor allem wenn sie nicht lange in Syrien waren. Bei den Ideologisierten braucht man Programme zur Deradikalisierung. Wir müssen die Jugendlichen längere Zeit begleiten und aufklären. Es geht um all das, was wir auch mit Aussteigern aus der rechtsextremen Szene machen.

Was wünschen Sie sich von der muslimischen Community?

Dass sich die muslimische Community und auch die Verbände stärker vom Salafismus oder Fundamentalismus abgrenzen und sagen: Das ist nicht unser Islamverständnis und auch nicht die Mehrheit aller Muslime, sondern eine Randerscheinung. Mir fehlt auch das Bekenntnis: Wir verorten uns in Deutschland. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder verführt werden. Wir setzen etwas dagegen, indem wir z.B. viel stärker in Jugendarbeit investieren, indem wir helfen, dass Jugendliche ein gesundes muslimisches Selbstbild erhalten.

Das Interview führte Andrea Grunau.

Lamya Kaddor ist Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin und Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Sie wurde als Tochter syrischer Einwanderer in Deutschland geboren. Ihr Buch "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen" erschien im Februar 2015.