Lühr: "Gewaltige Mengen Schlamm!"
29. Juli 2013DW: Herr Lühr, wie sehen Schlammvulkane aus?
Birger-Gottfried Lühr: Schlammvulkane sehen ähnlich aus wie normale Vulkane. Sie haben einen Aufstiegskanal und einen Auswurftrichter, aber die Kegel sind wesentlich flacher. Außerdem werfen sie kein Magma aus, sondern heißen Schlamm und Gase - wie Kohlendioxid oder Methan.
Wo auf der Welt entstehen Schlammvulkane?
Schlammvulkane können überall dort entstehen, wo es tiefe Sedimentbecken gibt. Also Täler, die sich über viele Millionen Jahre mit Sand und lockeren Materialien gefüllt haben. Gleichzeitig müssen dort Gase schlummern. Diese Sedimentbecken sind gewaltige Lagerstätten und sind deswegen für Erdöl- und Erdgasunternehmen sehr interessant. Das Land mit den meisten Schlammvulkanen ist übrigens Aserbaidschan.
Woher kommen die Gase?
Die Gase kommen aus der Erde. Die Erde entgast ständig, hauptsächlich über Vulkane, aber auch über den Boden. Das meiste ist Wasserdampf aber es ist auch sehr viel CO2 dabei. In drei bis vier Kilometern Tiefe wird das CO2 von Bakterien zu wertvollem Methan umgewandelt. Man kann es verbrennen, damit heizen und Strom erzeugen.
Und woraus besteht der Schlamm?
Man muss sich den Schlamm wie Ton vorstellen. Es ist ein sehr feinkörniger Sand, der Wasser schlecht durchlässt, weil er so fein ist. Aber: Weil er so gering durchlässig ist, kann er die Gase sehr gut halten. Wenn dann - aus welchen Gründen auch immer - ein Überdruck entsteht, kommt es zum Ausbruch und der Schlamm wird explosionsartig rausgeschleudert. Es ist sehr imposant, wenn der Schlamm in Blasen von einem Meter Durchmesser rausgespritzt wird.
Der Schlammvulkan Lusi in Indonesien spuckt nun schon seit 2006 ununterbrochen Schlamm, was ist damals passiert?
Lusi liegt in einer Gegend, in der seit Jahrtausenden Schlammvulkane stehen, die immer wieder ausbrechen. Viele indonesische Dörfer stehen auf Schlammvulkanen. 2006 begann eine Firma dort zu bohren, weil sich dort große Gaslagerstätten befinden. Plötzlich bildete sich in etwa 200 Meter Entfernung von einer Bohrung ein Schlammvulkan. Er wurde größer und größer und beförderte jeden Tag über 150.000 Kubikmeter Schlamm ans Tageslicht. Das sind gewaltige Mengen. Zunächst wurde der Ausbruch in Zusammenhang mit dieser Gasbohrung gebracht.
Aber es gibt noch eine andere Theorie …
Genau. Denn knapp zwei Tage vor diesem Ausbruch gab es in Zentraljava ein Erdbeben der Magnitude 6,3. Dieses Beben war ein so genanntes tektonisches Beben, das relativ flach in nur etwa 15 Kilometern Tiefe aufgetreten ist. Es war verheerend. Mehr als 5700 Menschen verloren damals ihr Leben. Dieses Beben hatte sogar Auswirkungen auf zwei gerade ausgebrochene Vulkane in der Region. Sowohl der Merapi, als auch der Semeru schleuderten dreimal so viele Glutlawinen heraus wie vor dem Beben.
Der Grund dafür waren sogenannte dynamische Spannungsänderungen, verursacht durch die Erdbebenwellen. Die führen dazu, dass sich die Gasblasen im Sediment vergrößern. Dadurch steigt der Druck in den Poren und die Scherfestigkeit des Materials verringert sich. Bei Schlammvulkanen führt dies dazu, dass sich das Material letztendlich verflüssigt und sich Wege nach oben sucht. Beim Ausbruch des Lusi ist es nicht am Erdöl-Bohrloch ausgetreten, sondern in 200 Meter Entfernung, an einer geologischen Schwächzone in der Erdkruste. Nicht nur an einer Stelle, sondern an mehreren Stellen - mit über einem Kilometer Länge.
Kann man im Nachhinein herausfinden, was schuld war - die Bohrung oder das Erdbeben?
Das ist zum einen eine politische Streitfrage. Denn das Problem ist: Wenn die Ölfirma - die meines Wissens einen Tag nach dem Unglück für einen Dollar verkauft wurde - zugeben würde, dass sie verantwortlich ist, dass 18 Dörfer verschüttet wurden, könnte man sie haftbar machen. Dann müsste sie den Menschen eine Entschädigung zahlen. Wenn es dagegen ein Naturereignis ist, geht es zu Lasten der Gemeinschaft.
Aber auch wissenschaftlich ist es eine Streitfrage. Denn es spielten besondere geologische Verhältnisse eine große Rolle. Dynamische Erdbebenwellen haben die seismische Energie in der Region verursacht und verstärkt. Und eine Forschergruppe konnte jetzt im Modell nachweisen, dass diese dynamischen Erdbebenwellen auch schuld am Ausbruch des Schlammvulkans Lusi sein könnten.
Nun sind zahlreiche Dörfer rund um den Lusi im Schlamm versunken, über 30.000 Menschen mussten die Gegend verlassen - was passiert dort jetzt?
Man beobachtet die Situation genau. Denn das viele Material, das der Vulkan ausgespuckt hat, fehlt jetzt im Untergrund.
Das bedeutet...?
Das bedeutet, es findet eine Absenkung statt. Und über das Absinken und die Förderrate kann man abschätzen wie lange das Ganze noch dauert. Der indonesische Staat muss sich Gedanken machen, wie er mit den Menschen vor Ort umgeht. Ich bin zwar nicht informiert wie damit soziologisch und politisch umgegangen wird, aber ich gehe davon aus, dass den Menschen eine staatliche Unterstützung zuteil wird.
Indonesien wird ja nicht gerade selten von Naturkatastrophen heimgesucht …
Ja, Indonesien ist - was solche Naturgefahren angeht - ein besonderes Land. Hier gibt es Tsunamis und Überflutungen. Jakarta sinkt um vier bis sechs Zentimeter pro Jahr ab. Mittlerweile liegt die Hauptstadt fast auf Meeresniveau und hat jedes Jahr gewaltige Probleme mit Hochwasser. Dann gibt es zahlreiche Vulkane und oft gewaltige Erdbeben. Indonesien ist weltweit das Land mit den meisten aktiven
Vulkanen und die spektakulärsten Ausbrüche, die wir kennen, fanden hier statt. Bis auf starke Stürme findet man in Indonesien eigentlich alles. Das ist für eine Gesellschaft eine enorme Belastung.
Aber es zeigt auch, dass die Erde ein dynamischer Planet ist, der sich in einer ständigen Veränderung befindet. Viele Prozesse, wie das Wachsen der Alpen, finden so langsam statt, dass wir es in einem kurzen, menschlichen Leben kaum wahrnehmen können. Bricht dagegen ein Vulkan aus oder bebt die Erde, dann sieht man die Auswirkungen.
Für uns Menschen ist es wichtig, dass wir solche Phänomene erkennen und versuchen, risikoarm mit ihnen zu leben. Das ist das wichtige. Es darf nicht sein, dass man wie aus heiterem Himmel von einem ausbrechenden Schlammvulkan überrascht ist, wenn man die ganze Zeit in einem Gebiet mit Schlammvulkanen gelebt hat.
Birger-Gottfried Lühr ist Geophysiker, Vulkan- und Erdbebenexperte am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam.
Das Gespräch führte Judith Hartl.