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Kurs ändern und Werkzeugkasten erweitern 

11. Dezember 2018

Wie steht es um die Gleichberechtigung in der digitalen Transformation? Einschätzungen und Forderungen von Nanjira Sambuli, Senior Policy Manager bei der World Wide Web Foundation. Fragen Christoph Jumpelt.

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Artikelbild Weltzeit 1-2019: Kurs ändern und Werkzeugkasten erweitern
Bild: DW/U. Wagner

Wo sehen Sie die größten Hürden bei der Erreichung digitaler Gleichberechtigung weltweit? 

Auch die Digitalisierung folgt „traditionellen“ Mustern von Ungleichheit: Diejenigen, die hier zurückgelassen werden, sind diejenigen, die schon auf anderen Feldern marginalisiert werden. Die International Telecommunication Union schätzt, dass 50 Prozent der Weltbevölkerung bis 2019 mit dem Internet verbunden sein werden. Von den drei Milliarden Menschen, die diesen Zugang bislang noch nicht haben, ist der Großteil weiblich und kommt aus einkommensarmen Ländern. Es geht aber nicht nur darum, Infrastruktur nutzen zu können. Es geht auch darum, ob Menschen sich das Internet dauerhaft leisten können. Außerdem gibt es soziokulturelle Normen: So wird in manchen Gesellschaften der Anspruch von Frauen, das Internet autonom zu nutzen, missbilligt. Eine weitere Kluft, die oft übersehen wird. 

Nehmen Regierungen diese Herausforderungen ernst genug oder sehen einige in Ihrem Anliegen und Ihrer Arbeit eher eine Bedrohung? 

Nanjira Sambuli World Wide Web Foundation
Jede und jeder muss überall bezahlbaren und bedingungslosen Zugang zu digitaler Technik bekommen: Nanjira SambuliBild: DW/M. Khelef

Es hat eine Weile gedauert, doch Regierungen fangen an, die Herausforderung zu begreifen. Noch vor wenigen Jahren galten Investitionen in den Zugang zu digitaler Technik als Luxus – vor dem Hintergrund dringlicherer Bedürfnisse wie Ernährungssicherung und Gesundheit. Dennoch steht die Digitalisierung auf ihrer Agenda. Digitales Know-how zu erlangen ist eng verknüpft mit dem Nachhaltigen Entwicklungsziel der UNO, den Zugang zu Bildung insgesamt zu verbessern. Regierungen werden die Weichen dafür stellen müssen, dass jede und jeder überall bezahlbaren und bedingungslosen Zugang zu digitaler Technik bekommt, um diese politisch, ökonomisch und sozial gewinnbringend zu nutzen. Aber in der Tat sehen Regierende in manchen Ländern das Internet und den freien Zugang zu Informationen auch als Bedrohung. Sie versuchen, die Nutzung zu kontrollieren. Und unter dem Deckmantel der Cybercrime-Bekämpfung oder der nationalen Sicherheit verletzen sie fundamentale Bürgerrechte. 

Was muss getan werden, um der Generation junger Flüchtlinge weltweit Zugang zu Informationen zu verschaffen? 

Mehrere UN-Institutionen und Nichtregierungsorganisationen haben sich dafür eingesetzt, Flüchtlingen Zugang zu digitaler Technik zu verschaffen, damit sie mit ihren Familien kommunizieren können, informiert bleiben und Zugriff auf Bildungsangebote haben. Wie bedeutsam der mobile Internetzugang gerade für Geflüchtete ist, zeigt eine aktuelle Studie in Flüchtlingslagern in Ostafrika. Flüchtlinge zu vernetzen, insbesondere junge Flüchtlinge, muss ganz oben auf der Agenda bleiben. 

Wie können Medien im Kontext der digitalen Gleichberechtigung dazu beitragen, Nutzern zu ermöglichen, fundierte Entscheidungen zu treffen? 

Titelbild Weltzeit 1|2019; mit AusgabennummerTitelbild Weltzeit 1|2019; mit Ausgabennummer
Bild: DW

Die Digitalisierung hat gerade die Medienindustrie revolutioniert und verunsichert. Journalisten müssen daher zunächst selbst die Welt des Digitalen verstehen, um ihre Aufgabe wahrnehmen und den Menschen diese Welt verständlich machen zu können. Leider greifen Medienunternehmen Themen der Digitalisierung häufig allzu kritiklos auf, mit wenig investigativer Energie. Die Rolle der etablierten Medien muss neu definiert werden und über bisherige Bestimmungen hinausgehen. Als Informationsvermittler müssen Medien auch künftig Damm in der weltweiten Nachrichtenflut sein, aktuelle Meldungen analysieren und in den Kontext stellen, um Bürger bei der Verarbeitung der Informationen Orientierung zu geben. Zudem sind Medien selbst der beste Akteur, um Medienkompetenz voranzubringen, indem sie ihren Kurs entsprechend ändern und den Werkzeugkasten der Berichterstattung erweitern. 

Was raten Sie Medien im Umgang mit Hasskommentaren und Extremismus im Netz? 

Der Extremismus, den wir heute in der Gesellschaft sehen, ist nicht zwangsläufig ein Ergebnis der Digitalisierung. Sie hat Probleme und Spannungen in vielen Gesellschaften lediglich deutlicher zutage treten lassen. Während viel darüber gestritten wird, wie man Hasskommentare herausfiltern kann, sollten Medien vielmehr die Frustrationen und Ängste der Menschen ansprechen, die die Ursache für dieses Phänomen sind. Mehr Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnik für die breite Öffentlichkeit bereitstellen heißt zugleich, dass wir den Menschen in jeder Hinsicht öffentlich mehr Raum zur Entfaltung bieten. Technische und soziokulturelle Aspekte müssen im Gleichklang wirken, um extremistischen Tendenzen etwas entgegenzusetzen. Medien sind hier auf jeden Fall ein Schlüsselakteur.

Die World Wide Web Foundationwurde 2008 ins Leben gerufen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, das Internet zu verbessern und verfügbarer zu machen. Dafür hat sie Prinzipien für einen „Internet-Vertrag“ niedergelegt. Ursprünglich sei das Internet dafür bestimmt worden, Menschen zusammenzubringen und Wissen frei zugänglich zu machen. Alle – Regierungen, Unternehmen und Einzelpersonen – seien in der Verantwortung, dies auch künftig sicherzustellen, fordert Nanjira Sambuli. Im Juni 2018 war die kenianische Politologin und Autorin zu Gast auf dem Global Media Forum der DW in Bonn.

Text aus: Weltzeit - das DW-Magazin - 1/2019