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Kurdenführer will Waffenstillstand

Ayhan Simsek/ db22. März 2013

Der inhaftierte kurdische Rebellenführer Abdullah Öcalan hat alle Kämpfer zum Rückzug aus der Türkei aufgefordert. Der Regierung in Ankara bot er einen Waffenstillstand an.

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Demonstratanten mit kurdischen Flaggen REUTERS/Umit Bektas
Bild: Reuters

"Es ist an der Zeit, dass die Waffen schweigen und die Ideen sprechen", heißt es in der Erklärung Öcalans, die Politiker der Kurdenpartei BDP am Donnerstag (20.03.2013) in Diyarbakir im Südosten der Türkei vor Hunderttausenden Kurden verlasen. Der Konflikt zwischen der kurdischen PKK und der türkischen Regierung müsse politisch gelöst und von einem Demokratisierungsprozess begleitet werden: "Es ist nicht das Ende, es ist der Anfang einer neuen Ära". Der fast 30 Jahre andauernde Konflikt hat zu blutigen Auseinandersetzungen und dem Tod von mehr als 45.000 Menschen geführt.

Waffenruhe und ungestörter Rückzug

Porträt des türkischen Premiers Erdogan
Ministerpräsident Erdogan begrüßte den Aufruf zur WaffenruheBild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Murat Karayilan, der militärische Oberbefehlshaber der PKK, kündigte an, dass Öcalans Aufruf respektiert werde. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan begrüßte zwar die Erklärung, betonte aber, es komme nun darauf an, wie die Waffenruhe umgesetzt werde.

Der Aufruf markiere den Beginn einer neuen Phase "ernsthafterer Verhandlungen mit der türkischen Regierung", meint Nihat Ali Özcan." Der führende PKK-Experte der "Stiftung für wirtschaftspolitische Forschung in der Türkei" (TEPAV) in Ankara warnte gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen. "Über Nacht wird man das Kurdenproblem nicht lösen können, nicht in ein paar Monaten oder ein paar Jahren", meint Özcan im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Gespräche öffentlich eingeräumt

Im Oktober 2012 nahm der türkische Geheimdienst (MIT) im Auftrag der Regierung Friedensverhandlungen mit Öcalan auf. Drei Jahre zuvor hatte der MIT insgeheim Kontakt mit Führern der verbotenen Arbeiterpartei PKK aufgenommen, aber das Scheitern des sogenannten Oslo-Friedensprozesses führte 2011 und 2012 zu einer neuen Welle der Gewalt.

Mit Blick auf den syrischen Bürgerkrieg unternahm die Regierung Erdogan im vergangenen Jahr einen zweiten Anlauf zur Beilegung des Konflikts. Dieses Mal sollte der Prozess transparent und nachvollziehbar sein, also wurde die Öffentlichkeit detailliert über die wichtigsten Gesprächspunkte informiert. Es gab zwar in den letzten Monaten ein paar Dämpfer, aber sowohl die türkische Regierung als auch Öcalan, seit 1999 in Haft, hielten an den Verhandlungen fest. Die Gespräche, erklärt Özcan, hätten ein neues Denkmuster in den jahrzehntealten Konflikt gebracht und das sei kaum noch rückgängig zu machen.

Ein fragiler und langwieriger Prozess

Abdullah Ocalan vor Türkischen Fahnen (Foto: REUTERS)
Abdullah Öcalan, der inhaftierte Gründer und Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)Bild: Reuters

Der TEPAV-Experte räumt ein, Splittergruppen könnten versuchen, den Friedensprozess zu torpedieren, es seien auch etliche Krisen denkbar. "Dieser Prozess ist nicht auf einen Waffenstillstand beschränkt", betont Özcan. "Dazu gehören auch einschneidende politische und rechtsstaatliche Veränderungen". Die Verfassung müsse überarbeitet werden und es müsse geklärt werden, wie die Regierung die Macht mit den Kurden teilen werde.

Die türkische Regierung werde versuchen, die Verhandlungen mit dem Verfassungsprozess und der Sicherheitspolitik zu synchronisieren, vermutet Özcan. "Wahrscheinlich wird die PKK Maximalforderungen stellen und die türkische Seite wird ein Minimum anbieten". Die Regierungspartei AKP stellt den Kurden in der Türkei mehr politische und kulturelle Rechte sowie eine größere Mitsprache in der kommunalen Verwaltung in Aussicht.

Galip Ensarioglu begrüßt die Erklärung Öcalans - auch er sieht einen Waffenstillstand als den Beginn einer neuen Ära in der Türkei. "Öcalan hat keinen unabhängigen Staat verlangt, auch keine Autonomie", erklärt der einflussreiche kurdische AKP-Abgeordnete gegenüber der DW. Stattdessen habe er zu einer gemeinsamen Zukunft aufgerufen, basierend auf Gleichheit und Demokratie.

"Der gegenwärtige Friedens- und Demokratisierungsprozess in der Türkei wird auch dem Nahen Osten, Syrien und dem Irak Frieden bringen", meint Ensarioglu.

Patriot Raketen der Bundeswehr in der Türkei (Foto: REUTERS/Murad Sezer )
Patriot-Raketen der Bundeswehr im Grenzgebiet zu SyrienBild: Reuters

Große Zweifel in der Opposition

Während die türkische Regierung hoffnungsvoll in die Zukunft blickt, herrschen in der Opposition noch Zweifel. Kritiker sehen Erdogans Vorstoß als Versuch, kurdische Unterstützung für seine Pläne zur Verfassungsänderung zu sichern, mit dem Ziel, ein Präsidialsystem einzuführen, um seine eigene Macht auszubauen.

Den bisherigen Mangel an Fortschritten in der Kurdenfrage habe Erdogan sowieso selbst zu verantworten, meint Sezgin Tanrikulu, kurdischer Abgeordneter der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP). "Seit mehr als zehn Jahren regiert Erdogan das Land", erklärt er gegenüber der Deutschen Welle. "Als die AKP 2002 die Regierung übernahm, hatten die bewaffneten Mitglieder der PKK das Land verlassen." Die Regierungspartei habe damals weder Mut noch genug demokratische Weitsicht bewiesen - "und so die Gelegenheit für eine Lösung verpasst."

Tanrikulu erklärt, seine Partei unterstütze die friedliche Lösung und den Waffenstillstand. Dagegen befürworten die Nationalisten größere Sicherheitsvorkehrungen, um der Bedrohung durch die PKK zu begegnen. Der Chef der Nationalisten-Partei, Devlet Bahceli, wirft Erdogan "Landesverrat" vor: Der Ministerpräsident verkaufe "das Land an eine Truppe blutrünstiger Banditen."

Abwarten, ob der Bürgerkrieg vorbei ist

Türkischer soldat mit Waffe auf Straße Xinhua /Landov +++(c) dpa - Report+++
Ein türkischer Soldat sucht die Straße an der Grenze zum Irak nach Minen abBild: picture-alliance/dpa

Die PKK hat geschätzte 2000 bewaffnete Kämpfer in der Türkei, dazu etliche Tausend im Nordirak. Kurzfristig sei ein definitives Ende des bewaffneten Kampfes der PKK nicht wahrscheinlich, meint Sicherheitsexperte Özcan - trotz Öcalans historischem Appell, ein neues Kapitel im politischen Kampf aufzuschlagen.

Er glaube nicht, dass PKK-Mitglieder außerhalb der Türkei schnell ihre Waffen niederlegen werden. "Die PKK wird eher versuchen, während der Verhandlungen eine starke Position gegenüber der türkischen Regierung einzunehmen - und die Waffen behalten". Die Organisation könnte vielmehr ihr militärisches Augenmerk auf Syrien richten, was Ankara noch mehr Kopfzerbrechen bereiten würde. Ein von der PKK kontrollierter Staat im Norden Syriens wäre für die Türkei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit.

"Erfolgreiche Verhandlungen der türkischen Regierung mit der PKK sind eng verwoben mit globalen und regionalen Entwicklungen", resümiert Özcan. "Eine Lösung für das PKK-Problem wird man nicht ohne eine Lösung für die Krise in Syrien finden."