Kunststaat im Interesse der EU
4. Februar 2003"Solania" - so spötteln die Kritiker dieses Konzepts mit Blick auf den EU-Chefdiplomaten Javier Solana, unter dessen Vermittlung der neue Staat zustande gekommen ist. Hat dieser Kunststaat, der da auf den Trümmern des alten Jugoslawien aus der Taufe gehoben wird, überhaupt Aussicht auf Erfolg? Wohl kaum, meinen die Kritiker, die insbesondere in Serbien zu finden sind. Und sie weisen darauf hin, dass das Gebilde bis auf einen Sitz bei den Vereinten Nationen und in der OSZE nur wenig eint: Serbien und Montenegro werden auch weiterhin über zwei verschiedene Währungen verfügen. In Serbien zahlt man mit dem Dinar, in Montenegro mit dem Euro. Es gibt zwei Zentralbanken und zwei verschiedene Handels-und Zollregime.
Und in drei Jahren steht es den Republiken frei, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit abzuhalten. Der montenegrinische Regierungschef Djukanovic hat schon klar gemacht, dass er diese Gelegenheit nutzen will, um seine Republik endgültig in die Unabhängigkeit zu führen.
Unverhohlen sauer reagiert die serbische Öffentlichkeit darauf, dass die gemeinsamene Institutionen der beiden Staaten finanziell ausschließlich von Serbien getragen werden sollen. Kurzum: "Serbien und Montenegro" wird von seinen Kritikern als Provisorium betrachtet, dem kaum reelle Überlebenschancen eingeräumt werden.
Wozu der ganze Aufwand? Die Europäische Union sieht durchaus einen Sinn in dem Gebilde. Denn sie hat es ins Leben gerufen, um Zeit zu gewinnen, damit die zentrifugalen Kräfte in der Region in Zaum gehalten werden. Das gilt vor allem für die Unabhängigkeits-Bestrebungen Montenegros, aber auch für die autonome Provinz Kosovo, die derzeit unter internationaler Verwaltung steht. Die Rechnung, die in Brüssel gemacht wird, ist einfach: Solange das alte Jugoslawien, wenn auch unter einem neuen Etikett, erhalten bleibt, haben Unabhängigkeits-Bestrebungen der Kosovo-Albaner wenig Aussicht auf Erfolg. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und die EU muss diese Frist nun nutzen, um ein zukunftsträchtiges Konzept für die Region vorzulegen. Leider ist das zur Zeit nicht in Sicht.
Warum, mag man sich fragen, haben angesichts dieser Perspektiven der serbische Regierungschef Zoran Djindjic und der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic überhaupt in dieses durchaus fragwürdige Konstrukt eingewilligt? Der Hauptgrund liegt darin, dass der neue Staat Mitglied im Europarat werden kann. Und dies ist der erste Schritt auf dem heiß ersehnten, aber mühseligen Weg in die Europäische Union. Auch wenn der Preis dafür ein rudimentär abgesichertes Gebilde mit eingebautem Zeitlimit ist.
Das Ende Jugoslawiens ist keineswegs erst mit der Brüsseler Vereinbarung eingeläutet worden. Den Todesstoß hat der ehemalige serbische Diktator Slobodan Milosevic dem Vielvölkerstaat schon vor einer Dekade versetzt. Sein Hegemonialstreben war einer der Hauptgründe, weshalb Slowenen, Kroaten, Mazedonier und Bosnier den gemeinsamen Staat verließen, um politisch und wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen.
Doch wenngleich der Name Jugoslawien bereits seit 1929 besteht, wird der ehemalige Vielvölkerstaat vor allem mit dem Staat in Verbindung gebracht, den Tito nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hatte. Wenn heute so mancher Bürger in Rest-Jugoslawien mit einer gewissen Wehmut daran zurückdenkt, dann deshalb, weil das blockfreie Jugoslawien unter Tito als ein Land in Erinnerung bleibt, dem es wirtschaftlich vergleichsweise gut ging und das seinen Bürgern dank Titos weiser Außenpolitik und der damaligen geostrategischen Gegebenheiten eine Reisefreiheit verschaffte, von denen die Menschen heute nur träumen können. Denn auch künftig werden für die Bürger von "Solania" Visa-Pflicht für alle nahen und fernen Nachbarn in Europa und wirtschaftliche Engpässe zum Alltag gehören.
Einen Lichtblick gibt es indessen: "Serbien und Montenegro" steht unter dem Schutz der Europäischen Union. Und damit steht sie auch in der Pflicht, dem Kunststaat Leben einzuhauchen.