Kunstrasen: EU will Granulat verbieten
23. Juli 2019Die Entscheidung der Verwaltung fiel ganz spontan. Das Füllmaterial für den neuen Kunstrasenplatz des BV Wevelinghoven wird aus Kork statt aus Granulat bestehen. Statt Plastik werden nun zehn Tonnen Kork bestellt. "Wir waren gerade unmittelbar in der Entscheidungsphase", sagt Stephan Renner, Pressesprecher der Stadt Grevenbroich der Deutschen Welle. "Jetzt sind wir auf jeden Fall auf der sicheren Seite."
Der Grund für das unmittelbare Umschwenken der Grevenbroicher liegt in einem Schreiben des Städte- und Gemeindebundes NRW von Anfang Mai. Darin wurde den Kommunen mitgeteilt, dass auf EU-Ebene - von der Europäischen Chemikalienbehörde (ECHA) - zurzeit ein Verbot von Kunststoffgranulat auf Kunstrasen geprüft werde.
Hintergrund ist laut der Behörde die Frage, "ob bestimmte Mikroplastiken, die bewusst in die Umwelt freigesetzt werden, verboten werden müssen". Das Granulat soll durch die Nutzung und den Wind abgetragen werden und die Umwelt mit den kleinen Plastikpartikeln (bis zu fünf Millimeter) verunreinigen. "Das Verbot soll nach derzeitigem Stand 2021 in Kraft treten", der Austrag des Granulats wäre damit ab 2022 verboten, teilt der kommunale Spitzenverband mit: "Bestandsschutz oder Übergangsfristen sind bisher nicht vorgesehen."
Die (Fußball-) Nation ist aufgeschreckt
Zwar hat eine Sprecherin der EU-Kommission am Dienstag mitgeteilt, dass nicht an einem grundsätzlichen Verbot von Kunstrasenplätzen gearbeitet werde, aber ob oder wann das Granulat, das auf Tausenden Plätzen derzeit noch zum Einsatz kommt, nicht mehr benutzt werden darf, blieb offen. "Das hat uns schon aufgeschreckt. Und das beobachten wir auch mit großer Sorge", sagt Renner. Allein in den Zuständigkeitsbereich seiner Verwaltung fallen fünf weitere Kunstrasen-Fußballplätze sowie drei Kleinfelder, die allesamt mit Granulat befüllt sind. "Da kämen Kosten von mindestens rund 1,2 Millionen Euro auf uns zu. Deshalb plädieren wir für Übergangsfristen, um im Rahmen der üblichen Sanierungs- und Instandhaltungsfristen das Füllmaterial zu tauschen", sagt Renner.
Nicht nur die Grevenbroicher, die gesamte (Fußball-) Nation ist aufgeschreckt. Vielerorts in der Republik stellen sich betroffene kleine Amateurklubs derzeit die Frage, ob sie ihren Spielbetrieb nach einem Verbot überhaupt noch aufrecht erhalten könnten, und wie sie es schaffen sollen, den Platz aus eigener Kraft "EU-tauglich" zu machen. Solch einen finanziellen Aufwand kann sich wohl kaum ein Klub zusätzlich leisten.
"Ob die EU-Kommission ein Verbot von Plastik-Einstreumaterial für Kunstrasensportplätze vorschlagen wird, steht noch längst nicht fest", teilte ein Sprecher von Ministerin Svenja Schulze (SPD) mit und versuchte die Öffentlichkeit zu beruhigen. Innenminister Horst Seehofer wolle sich für eine Übergangsfrist von sechs Jahren einsetzen.
Müller: "Ein gewisser Austrag findet natürlich statt"
Tobias Müller kann die aktuelle Diskussion indes nicht verstehen. Der Pressesprecher von "Polytan", einem der größten Hersteller von Kunstrasenplätzen, ist eher verärgert über das Zustandekommen. Sein Kritikpunkt: Das Fraunhofer Institut UMSICHT hatte eine Studie zu Mikroplastik veröffentlicht, um die sich nun die Verbots-Diskussionen ranken. "Ein gewisser Austrag findet natürlich statt. Aber da wird mit viel zu hohen Zahlen Aufregung verbreitet", sagt Müller der DW.
Die Autoren hätten ältere Untersuchungen und europäische Mengenansätze verarbeitet. In Europa werde aufgrund der Bauweise wesentlich mehr Granulat auf den Plätzen ausgebracht. Man könne diese Werte nicht einfach so auf Deutschland übertragen, sagt Müller. Das Fraunhofer Institut UMSICHT gehe von rund zwölf Kilogramm Granulat pro Quadratmeter aus, das jüngste Produkt kommt mit 1,7 Kilogramm pro Quadratmeter aus.
Neue wissenschaftliche Erhebungen
Anders als vom Institut ausgewiesen würden auf den rund 3500 mit Granulat befüllten Plätzen in Deutschland auch nicht 8000 bis 11.000 Tonnen Granulat jährlich von Kunstrasenplätzen in die Umwelt ausgetragen, sondern pro Platz lediglich 250 bis 400 Kilogramm jährlich. "Das zeigen unsere jahrelangen Erfahrungen beim Auffüllen. Es geht auch nicht alles Granulat, wie behauptet wird, direkt in die Umwelt, sondern ein Großteil wird durch Kehrmaschinen oder bei der Winterbearbeitung der Plätze abgetragen", sagt Müller.
Das Granulat habe sich in den vergangenen Jahren ohnehin verändert. Vom zerschredderten Autoreifen aus reinem Plastik hin zum Granulat das aus 70 Prozent aus Hanf oder Kreide bestehe und noch zu 30 Prozent aus synthetischem Kautschuk. "Das schwarze Granulat wird nur noch auf ausdrücklichem Wunsch des Kunden und nur sehr selten und wenn dann vor allem im Ausland verbaut", sagt Müller. Ziel des Unternehmens sei es, ein zu 100 Prozent Bio-Granulat mit den gleichen Eigenschaften für die Sportler zu entwickeln, das das Plastik ablöst.
Das Fraunhofer Institut UMSICHT teilte mit, dass für "Quantifizierungen von Mikroplastik-Emissionen wenig experimentelle Daten vorliegen". So habe das Institut mit Schätzungen und "nicht-absoluten Zahlen auch basierend auf Daten aus dem Ausland" gearbeitet. Derzeit laufen Folge-Untersuchungen.
Geringes gesundheitliches Risiko
Die gesundheitlichen Risiken für die Nutzer der mit Granulat befüllten Plätze seien indes gering. Biochemikerin Annegret Biegel-Engler, Leiterin des Fachgebiets "Maßnahmen im Bodenschutz" im Bundesumweltamt erläuterte in einem Fachbeitrag am Bundesinstitut für Risikobewertung zum Thema "Gummigranulat auf Sportplätzen", dass die verwendeten SBR-Granulate "mit Schwermetallen, Phthalaten (Weichmacher), Formaldehyd, Benzothiazolen, Methylisobutylketonen usw." belastet sein könnten. Die Granulate seien eine Quelle, aus der Mikroplastik in die Umwelt gelange, zum Beispiel bei Regen.
Die Auswirkungen von SBR-Granulaten - SBR steht für Styrol-Butadien-Kautschuk - auf die menschliche Gesundheit wurden kürzlich von der ECHA bewertet. Diese kommt zu der Einschätzung, dass auf der Basis der derzeit zur Verfügung stehenden Informationen von lediglich geringen gesundheitlichen Bedenken bei der Benutzung von Kunstrasenplätzen, die SBR-Granulate als Füllmaterial enthalten, ausgegangen werden kann."
BUND: Granulat nach und nach austauschen
Unabhängig von der Menge der Austragungen und vom Grad der Gefahr, die von den Granulaten ausgehe, setzt sich Nadja Ziebarth vom "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (BUND) für ein Verbot der Granulate auf Fußballplätzen ein. "Der Punkt ist, dass die Granulate die fünftgrößte Austragungsquelle von Mikroplastik sind", sagt die Meeresschutz-Referentin. Aber: Das Thema Mikroplastik sei zwar sehr wichtig, aber niemand von BUND wolle, dass "die Vereine kaputt gehen", sagt Ziebarth.
Deshalb sollen die Granulat-Plätze nach und nach mit umweltverträglicher Masse befüllt werden. Und dafür müsse es eine Übergangszeit geben. "Schließlich spielen neben der notwendigen Diskussion um das Mikroplastik viele weitere Faktoren wie soziale und wirtschaftliche Komponenten eine bedeutende gesellschaftliche Rolle", so die Umweltschützerin.