Museum Boijmans Van Beuningen öffnet Depot
6. November 2021Es tut sich was in Rotterdam: Seit Mitte Mai rollten im Museumspark täglich bis zu sieben LKW an, um die in fünf externen Speichern zwischengelagerten Kunstwerke ihrem neuen Heim zuzuführen. Drei Monate hat die generalstabsmäßig geplante Operation gedauert. Am 6. November hat das neue Kunstdepot schließlich seine Pforten geöffnet. "Salatschüssel", "Arche Noah" oder einfach nur "De Pot" ("der Topf") sind schon jetzt seine beliebten Spitznamen. Das Besondere - und damit unterscheidet es sich definitiv von einer Salatschüssel: Das Kunstdepot in Rotterdam ist das erste öffentlich zugängliche Depot der Welt.
Anlass für den Bau eines Kunstspeichers in der holländischen Hafenstadt war die Tatsache, dass das 1935 eingeweihte Museum Boijmans Van Beuningen aus allen Nähten platzte. Doch was macht man mit 151.000 Kunstobjekten, die im Keller eines Museums lagern, wo sie erstens kaum einer sieht und wo sie zudem von stets wiederkehrendem Hochwasser bedroht sind? Diese Frage stellte sich auch Sjarel Ex, der die Geschicke des Hauses seit 2004 leitet. Er ergriff die Initiative, die gesammelten Kunstwerke in einem Gebäude außerhalb der eigenen vier Wände unterzubringen.
Ein offener Kunstraum
Das Depot will aber keine Ausstellungserweiterung des backsteinernen Haupthauses sein, sondern eine Art offener Kunstraum, der die Arbeit an und mit den archivierten Objekten sichtbar macht. Laut Sjarel Ex lagern in den meisten Museen etwa 92 Prozent der Kollektion in den Kellern. "Das entspricht nicht unserer Auffassung von einer modernen Kunstvermittlung.
Indem wir zeigen, wie Dinge verpackt, konserviert, restauriert und auf den Weg gegeben werden, wollen wir eine andere Form der Kunstteilhabe ermöglichen", so der Niederländer, der seinen Landsleuten ein großes Kunstinteresse bescheinigt. So würden die 430 Museen des Landes jährlich von rund 30 Millionen Menschen besucht. Dabei gehöre das Boijmans Van Beuningen mit rund 300.000 Besuchern (Stand: 2019) zu den am stärksten frequentierten.
Entwurf von MVRDV
Mit dem Depot dürften es noch weit mehr werden. Nach einem Entwurf des renommierten niederländischen Architekturbüros MVRDV wurde es in nur vier Jahren hochgezogen. Auffälligstes Kennzeichen ist die Spiegelfassade, die sich mit 6609 Quadratmetern Gesamtfläche von unten nach oben erstreckt. Kaum, dass die ersten der insgesamt 1664 in China gefertigten Glaspaneelen befestigt waren, wurden sie zum begehrten Foto-Objekt. Nicht nur für Profi- und Hobbyfotografen, sondern auch für eine stets größer werdende Social-Media-Fangemeinde, deren spiegelnde Selfies auch einen Blick auf die Nachbarschaft des mitten im Kunstquartier der Stadt angesiedelten Art-Speichers freigeben.
Mit knapp 40 Metern Höhe übertrumpft "De Pot" bewusst nicht den Turm des benachbarten Stammhauses. Seine kreisrunde Form, die sich nach oben hin auf 60 Meter weitet, hat am Boden einen Durchmesser von 40 Metern. Das, was an Parkfläche unten wegfiel, wurde als Dachgarten oben wieder aufgesetzt. Mehr als 70 Meter hohe Birken säumen die Terrasse des Restaurants, das sich in einem kreuzförmigen Pavillon befindet. Dieser Teil des Hauses wird auch unabhängig vom Besuch des Depots zugänglich und für Veranstaltungen mietbar sein. Und das ist gut so, denn von hier oben hat man eine fantastische Aussicht auf die Stadt, der man beim Wolkenkratzer-Wachstum förmlich zusehen kann.
Nah am Wasser gebaut
MVRDV-Chef Winy Maas ist bekannt für seine spektakulären städtischen Hochbauten. Er gehört zu den Architekten, die die Ansicht vertreten, man müsse in die Luft bauen, um angesichts der rasant steigenden Weltbevölkerung und der Klimakrise (angenehmes) Wohnen noch möglich zu machen. Im Fall des Depots bezieht sich das zwar nicht auf die Höhe des Gebäudes - wohl aber auf die Tatsache, dass die Kunstgegenstände künftig erst ab sechs Metern Höhe gelagert werden. Denn auch oder gerade Holland ist nah am Wasser gebaut. Mehr noch: Ein Drittel des Landes befindet sich unter dem Meeresspiegel - auch Rotterdam. Deshalb war für die Bauarbeiten am Depot der Einsatz von Spundwänden nötig. Auch sonst war die Planung hinsichtlich Besucherströmen, Luftfeuchtigkeit, Klimatisierung, Brandschutz und nicht zuletzt Diebstahlsicherheit sehr aufwendig.
Besucher des 15 500 Quadratmeter Nutzfläche umfassenden, sechsstöckigen Gebäudes können sich allein oder geführt umsehen. Umgeben von Kunst werden sie über fünf große Zickzack-Treppen im Giovanni Piranesi-Stil nach oben geleitet. Kunstwerke hängen entweder an Ziehgestellen oder sie sind in einer der 13 riesigen Vitrinen ausgestellt, die im Atrium hängen. Drucke, Zeichnungen und Fotografien wurden in geschlossenen Räumen untergebracht, wo man sie auf Anfrage betrachten kann.
Kunst nach Klimazonen gelagert
Die Kunst wird nicht nach Epoche, sondern entsprechend ihrer klimatischen Anforderungen in fünf verschiedenen Klimazonen gelagert. Wo immer möglich, wurden nachhaltige Materialien verwendet. Das Gebäude ist ausgestattet mit einem geothermischen Wärmetauscher, Photovoltaik, LED-Lampen sowie einem Regenwasserspeicher, der Wasser für den Dachgarten und die Toilettenanlagen liefert.
Dass ein solches Konzept seinen Preis hat, liegt auf der Hand. Rund 92,5 Millionen Euro (inklusive der Einrichtung) musste das Museum dafür berappen. 27,6 Millionen Euro steuerte die philanthropische Stiftung De Verre Bergen bei. Der Rest wird über über die Stadt, Spenden, Eintritte und die Vermietung von Depoträumen an private Sammler finanziert. Sieben Räume mit insgesamt 1900 Quadratmeter stehen dafür zur Verfügung. Auch die 1000 Glaspaneelen, die man für Geld "adoptieren" konnte, wurden inzwischen unters Volk gebracht. Die Rotterdamer nehmen die hohen Kosten offenbar gern in Kauf für diesen einzigartigen Bau, für den minimal 150.000 Besucher pro Jahr angepeilt werden. "Wir wollen jedes Mal etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes zeigen" ist ein Grundsatz von Winy Maas. Nach ikonischen Entwürfen weltweit und der MVRDV-Heimat selbst ("Markthal Rotterdam", 2014), ist es ihm und seinem Team einmal mehr gelungen.