Kunst & Glamour: die 68. Filmfestspiele Cannes
18. Mai 2015Eine gehörige Portion Sozialkritik, inszeniert von einer Frau, eröffnete das Festival (13.05.-24.05.2015). Nur einen Tag später kommt ein monumentales Actionspektakel für die Männerwelt auf die große Leinwand. Wie passt das zusammen? Eigentlich gar nicht. Oder eben doch, schließlich versucht das Festival in Südfrankreich jedes Jahr beide Stränge des Weltkinos zu vereinen: Film-Kunst und Film-Kommerz. In diesem Jahr dürfte der Spagat besonders krass ausfallen.
Eröffnet wird das Festival an diesem Mittwoch unter großem Polizeiaufgebot. Nach den Anschlägen von Paris und einem spektakulären Überfall auf ein Juweliergeschäft in der vergangenen Woche wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Im Eröffnungsfilm "La Tête haute" präsentiert die Französin Emmanuelle Bercot Catherine Deneuve als Jugendrichterin, die sich gemeinsam mit einem Erzieher (Benoît Magimel) eines jungen Kleinkriminellen annimmt. Bercots Drama steht am Anfang des Wettbewerbs, läuft aber außer Konkurrenz.
Dass die wichtigste Programmsektion in Cannes von einer Frau eröffnet wird, dürfte eine Reaktion auf den verschwindend geringen Anteil von Regisseurinnen im Programm der letzten Jahre sein. Doch im Wettbewerb, in dem sich 19 Filme um die Preise bewerben, sind auch wieder nur zwei Frauen dabei. Die Diskussions-Reihe "Woman in Motion", in der über die Rolle von Frauen im Filmgeschäft gesprochen wird, dürfte nur ein Feigenblatt sein.
Einen Tag nach der offiziellen Eröffnung wird's dann martialisch: Die australisch-amerikanische Koproduktion "Mad Max: Fury Road" von Regisseur George Miller könnte das größte Medienecho in Cannes hervorrufen. Millers erster "Mad Max"-Film war 1979 ein kommerzieller Welterfolg, zog zwei Fortsetzungen nach sich.
Die Mischung aus Actionspektakel und Endzeitdrama dürfte weltweit auch nachfolgende Kinogenerationen wieder anziehen. In der Neuverfilmung ist der Brite Tom Hardy zu sehen, ersetzt damit Mel Gibson. Die Produzenten nutzen den Festivalrahmen als Startrampe: "Mad Max: Fury Road" läuft parallel zur Cannes-Uraufführung weltweit in den Kinos an.
US-Regieduo führt die Jury an
Im Wettbewerb um die Goldene Palme, über die am Ende eine Jury um die Vorsitzenden Joel und Ethan Coen (USA) entscheiden wird, fällt die besonders starke französische Präsenz auf. Aber auch Italien ist anno 2015 gut vertreten. Fünf Produktionen aus Frankreich, drei aus Italien bilden das Herzstück des Wettbewerbs. Dabei sind Regie-Schwergewichte wie Jacques Audiard (Frankreich) und die Italiener Nanni Moretti, Matteo Garrone und Paolo Sorrentino. Und Schauspieler wie Isabelle Huppert und Gérard Depardieu - in dem französischen Film "Valley of Love" (unser Bild oben).
Die USA schicken zwei der interessantesten Regisseure einer mittleren Generation, Gus Van Sant und Todd Haynes, Kanada ist mit dem bemerkenswerten Gilles Villeneuve vertreten. Beiträge aus Japan, China und Taiwan gehen für den Filmkontinent Asien ins Rennen. Auch in anderen Programmsektionen in Cannes ist Asien wieder stark vertreten. "In China entstehen zurzeit die meisten Kinosäle", sagte Cannes neuer Festivalpräsident Pierre Lescure in einem Interview: "Darauf müssen wir reagieren."
Filme aus Australien, Norwegen, Griechenland sowie ein Debüt aus Ungarn, ein Holocaust-Drama, vervollständigen das Palmen-Rennen in diesem Jahr. Thematisch spricht man schon von einem politischen Festival, drehen sich doch diesmal einige Filme um das Schicksal von Migranten und moderne Arbeitswelten.
Deutsches Kino: Fehlanzeige
Und der deutsche Film? Der wurde wieder einmal übersehen. Das Verhältnis des Festivals zum deutschen Kino gilt als schwer zerrüttet. In den letzten Jahren hatten es zumindest Koproduktionen aus Deutschland in den Wettbewerb geschafft. Auch die sind aber diesmal nur in den Nebenreihen vertreten. Woran diese langjährige Missachtung des deutschen Kinos an der Croisette liegt, darüber wird gestritten. "Zu wenig Qualität", sagen die Macher von Cannes.
Doch wenn man sich die offizielle Homepage des Festivals anschaut, kommen einem Zweifel. Dort kann man das Programm in vielen Sprachen studieren, auch in kleinen europäischen - in Deutsch hingegen nicht. Im Februar hatte die Konkurrenz in Berlin einige deutsche Filme gezeigt, neue Werke von Wim Wenders oder Werner Herzog liefen während der Berlinale. Die hätten auch nach Cannes gepasst.
Nur Kurzes aus Deutschlad
Doch inzwischen wissen die allermeisten Regisseurinnen und Regisseure aus Deutschland, dass sie beim Festival in Frankreich keine großen Chancen haben – und reichen ihre neuen Arbeiten gleich bei der Konkurrenz in Berlin, Venedig oder Toronto ein. So wird sich die deutsche Kinoszene diesmal vor allem im Deutschen Pavillon, dem gemeinsamen Stand von "Focus Germany" und "German Films", zeigen. Lediglich ein paar Kurz- und mittellange Filme aus deutscher Hand werden aufgeführt.
An Stars und Sternchen wird in Cannes natürlich wieder kein Mangel herrschen. Dass sich die Regisseure und Schauspieler aller Wettbewerbsfilme allabendlich auf dem roten Teppich präsentieren, ist Ehrensache. Außerhalb der offiziellen Sektionen laufen darüberhinaus einige Filme in Sondervorführungen, um ein wenig Glanz des Festivals mitzubekommen.
Woody Allen, Israel und Computeranimation
Woody Allen zeigt seinen neuen Film "Irrational Man", die Schauspielerin Natalie Portman stellt ihr Regiedebüt, die Israel-Saga "A Tale of Love and Darkness" nach einem Roman von Amos Oz vor. Mit Spannung erwartet wird auch der neueste Streich vom Regie-Enfant terrible Argentiniens, Gaspar Noé: Sein Film "Love" soll explizite Sex-Szenen enthalten. Freunde des Trickfilms sollten bei der Premiere der neuesten Pixar-Produktion "Inside Out" auf ihre Kosten kommen.
Der französische Sänger und Schauspieler Lambert Wilson wird wie im vergangenen Jahr durch die Eröffnungsgala führen. Einer der größten Stars der Kinogeschichte schmückt diesmal das offizielle Festivalplakat: Ingrid Bergman wird anlässlich ihres bevorstehenden 100. Geburtstages ihr strahlendes Lächeln dem Festival schenken.
Selfie-Verbot auf dem roten Teppich
Doch eines wird es in diesem Jahr nicht oder zumindest viel weniger geben in Cannes: Der Selfie-Manie auf dem roten Teppich soll ein Ende bereitet werden. Weil in den vergangenen Jahren auch die Stars mehr und mehr zum Smartphone griffen, um sich und ihre Lieben abzulichten, kam es zu Staus auf dem Teppich. Nun sind alle angehalten, auf die Selfies zu verzichten. Cannes wird's verkraften.